0770 - Die andere Seite der Hölle
hatte.
Jane wußte zudem, daß sie nicht lange allein bleiben würde. Sehr bald schon würde Elenor hier erscheinen, um mit ihr zusammen all die Wunder zu genießen, die ihnen die Kapelle bot.
Die alte Tür ächzte in den Angeln, als sie von Jane aufgezogen wurde. Und diese ›Musik‹ war es auch, die ihre nächsten Schritte begleitete.
Sie betrat die Düsternis.
Zuerst hatte sie den Eindruck, in einen Tunnel zu gehen und nicht in eine Kapelle, denn im Innern war es sehr dunkel. Zwar gab es die Fenster, die aber lagen hoch, waren zudem im Verhältnis zur Kapelle ziemlich klein und ließen kaum Licht herein.
Jane hörte das schnackende Geräusch.
Die Tür war zu.
Das letzte Echo verklang.
Stille umgab sie.
Jane blieb stehen, das eisige Frösteln lag auf ihrer Haut wie ein Schimmer. Sie schaute sich nicht um, sondern sah zunächst nach vorn. Vor ihr zeichnete sich das alte Gestühl ab, geteilt durch einen schmalen Gang in der Mitte.
Nur wenige Personen hatten in den Sitzreihen Platz gefunden.
Jenseits davon stand der Altar. Eine schlichte Platte, mehr nicht. Nichts - war zu sehen von irgendwelchen christlichen Symbolen. Das alles war verschwunden, das gehörte nicht mehr in die Kapelle.
Nur noch sie war da.
Die Herrscherin, die Königin. Früher hatte sie auf den Namen Franziska gehört. Eine Nonne war sie gewesen, aber eine besondere. Sie hatte sich nichts vormachen lassen und der Welt bewiesen, daß zwischen Tag und Nacht noch andere Dinge existierten, die nur erst geweckt werden mußten, um sie den Menschen näherzubringen.
Magie, Astrologie, die Zauberkünste der Alchimisten. Das alles gehörte zusammen und wurde als Teufelswerk angesehen, doch es war wichtig und wertvoll.
Jane Collins horchte in die Kirche hinein. Ihr war längst klar, daß sie sich an einem besonderen Ort befand, und sie spürte jetzt, wie sich das andere gegen sie drängte. Es war einfach da, es hielt alles umklammert. Es war ein Zeichen und gleichzeitig ein Beweis für die Fakten der Vergangenheit.
Schon bei ihrem ersten Besuch hatte Jane die Kälte oder geistige Leere innerhalb der Kirchenmauern gespürt. Da fröstelte die Seele, zog sich zusammen und stellte sich auf Abwehr ein.
Zumindest bei einem Menschen, der normal dachte. Jane zählte sich nicht mehr dazu. Seit der Rettung vor dem Feuer hatte sie eingesehen, daß sie einen anderen Weg beschreiten mußte. Er führte zu dem Mädchen mit den wundersamen Kräften, aber Elenor war nur eine Station auf dem weiteren Weg, der letztendlich dort endete, wo alles begonnen hatte, bei der Nonne Franziska.
Damit war der Kreis wieder geschlossen. Jane war klar, daß sich in dieser Kapelle die Vergangenheit und die Gegenwart trafen, um für die Zukunft einen Pakt zu schließen, wobei sie sich im Zentrum des Pakts befand.
Noch etwas anderes war mit ihr passiert. Seit dem Eintreten in die Kapelle war sie in einen inneren Aufruhr geraten. Sie bemerkte genau, daß etwas mit ihr geschah und ungewöhnliche Kräfte frei wurden. Sie fühlte sich so gut, die Erschöpfung vom Laufen war verflogen. Sie konnte plötzlich wieder wer sein, und sie fühlte sich gleichzeitig anderen überlegen.
Jane war noch nicht zu tief in die neue Welt verstrickt, um die alte vergessen zu können. Sie erinnerte sich sehr wohl daran, daß sie schon gewisse Lebensabschnitte hinter sich hatte. Sie war einmal eine Hexe gewesen, hatte dem Teufel gedient, sich aber von ihm abgewendet und zählte sich nun zu seinen Feinden.
Die alten Hexenkräfte waren nicht ganz verschwunden. Sie hatten nun den magischen Push bekommen, und nur deshalb fühlte sich Jane so gut und innerlich stark.
Die alte Verbundenheit war wieder da.
Aber mit wem?
Jane lächelte, als sie an die Nonne dachte. Franziska…
Zuerst dachte sie den Namen nur, dann sprach sie ihn flüsternd aus und das ungewöhnliche Echo in der Kapelle sorgte für eine zischende Wiederholung.
Nur eine Antwort bekam sie nicht.
Der Geist der Nonne blieb stumm, als sei er nicht mehr vorhanden. Dabei war er da, das wußte sie genau. Er mußte sich irgendwo verborgen halten. Tief versteckt in den Mauern der Kirche. Vielleicht auch in den alten Holzbänken oder er konzentrierte sich an einem bestimmten Ort.
Genau in der Mitte zwischen den beiden ersten Bankreihen blieb Jane Collins stehen. Wenn sie nach vorn schaute, schimmerte die Altarplatte durch die grauliche Finsternis.
Um sie brauchte sich die einsame Besucherin nicht zu kümmern. Es gab wichtigere Dinge.
Jane
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