0771 - Der Knochen-Sessel
Es gab auch noch eine zweite Möglichkeit. Man nahm eine Axt und zerhackte ihn.
In der Luft hing der Leichengeruch. Abe ekelte sich davor. Er atmete nur flach durch die Nase, ging zur Seite, dann wieder zurück und begann seinen Marsch von vorn.
Die Zeit kam ihm lang vor. Er versuchte zu schätzen, wie lange John dieses Telefongespräch mit London wohl führen würde. War es der Sessel überhaupt wert, von Sinclair ersteigert zu werden?
Diese Frage beschäftigte ihn. Er an Johns Stelle hätte nicht so gehandelt, aber das spielte keine Rolle. John steckte in seinem Job, er in einem anderen, einem normaleren. Auch wenn das Wort normal für eine Stadt wie New York nicht mehr zutraf.
Er drehte sich um. Abe sah den Sessel – und erbleichte.
Dabei rührte er sich in folgenden Sekunden nicht von der Stelle, denn was er sah, das konnte nicht stimmen, das musste eine Halluzination sein, da spielten ihm seine Nerven einen Streich. Als er abermals hinschaute und hoffte, dass dieses Bild verschwunden war, da konnte er nur den Kopf schütteln.
Es war noch da.
Nichts hatte sich verändert, denn noch immer schwebte die unheimliche und durchscheinende Person auf dem Knochen-Sessel, als wäre sie aus dem Jenseits in diese Welt gekommen.
Der G-Man hielt den Atem an. Er dachte daran, dass er persönlich damit nichts zu tun hatte, und wollte eigentlich verschwinden, um John Sinclair zu holen, doch er schaffte es nicht, sich zu bewegen.
Der Anblick bannte ihn.
Und so kam es, dass er sich den Geist genauer anschaute und sich seinen Anblick auch einprägte.
Es war seltsamerweise keine nebulöse Gestalt, wie man sich einen Geist oder ein Gespenst immer vorstellte. Der Unheimliche sah sogar aus, als wäre er kompakt, aber trotzdem war er durchscheinend.
Douglas suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, um ihn zu erklären oder gar nur zu beschreiben.
Nicht grau, dafür grünlich mit einem leichten Stich ins Braune. Die Hände schauten aus weiten Kuttenärmeln hervor und hatten sich um die Enden der Armlehnen geklammert. Die Kutte hüllte die Gestalt völlig ein. Der große, halbrunde Schalkragen reichte bis auf die Brust. Der Schal ging über in die Kapuze. Beide bestanden aus einem Stück Stoff, und die unheimliche Gestalt hatte die Kapuze wie eine Mütze über ihren Kopf gestreift, sodass nur das Gesicht frei blieb.
Ein kleines, ein rundes Gesicht. Ebenfalls farblich zu der Kutte passend. Es konnte das Gesicht eines Toten sein. Die Augen waren geschlossen, der Mann mit der kleinen Nase und dem ebenfalls schmalen Mund sah aus, als würde er schlafen.
Keine Gefahr! Alles sah so harmlos aus.
So aber dachte Abe Douglas nicht. Er traute sich auch nicht, auf den Sessel zuzugehen, noch war die unheimliche Aura zu stark, die von dieser Gestalt abstrahlte.
Er schaute zurück.
Die Tür war und blieb verschlossen. Es hatte auch kein anderer Geist den Raum betreten. Abe kam sich lächerlich vor, als er daran dachte, aber er befand sich in einer Stresslage. Da drehte er schon mal durch und tat Dinge, die er sonst nicht getan hätte.
Kälte kroch über seinen Rücken. Was tun?
Abe überwand sich selbst. Er dachte daran, was schon alles an unheimlichen Fällen hinter ihm lag, wandte sich wieder um und sah den Geist regungslos auf dem Knochen-Sessel hocken.
Trotz der geschlossenen Augen fühlte sich der G-Man ständig beobachtet. Der Schauer auf seinem Rücken verdichtete sich immer mehr. Die Furcht war ein kriechendes Gift, das auch sein Blut nicht ausließ. Es schien dicker zu werden und langsamer zu fließen.
Blei lag in seinen Beinen. Die Schritte waren so schwer wie selten.
Er ging trotzdem weiter und blieb erst dann stehen, als er in Reichweite des Sessels stand. Da holte er tief Luft.
Überwindung, sagte er sich selbst. Du musst dich selbst überwinden! Du schaffst es. Du bist auch nicht ohne. So machte er sich selbst Mut – und streckte der Gestalt seinen rechten Arm entgegen.
An den Fingerspitzen spürte er es zuerst. Es war der kühle Hauch.
Es kam ihm vor, als hätte er seine Hand in eine eisige Nebelwand getaucht, doch dieser Nebel war nicht vorhanden. Es gab überhaupt nichts, was ihn und den Geist trennte.
Seine Hand ruhte. Mit dem Speichel feuchtete er seine trockenen Lippen an. Sollte er die trennende Entfernung überbrücken?
Nein, er ließ es bleiben, weil er Furcht davor hatte, dass seine Hand vereisen würde. Hastig zog er sie wieder zurück, fühlte mit den Fingerspitzen der normalen nach und stellte
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