0777 - Phantom aus der Vergangenheit
das Gesicht einer Greisin, und mich schauderte es noch immer. Dann dachte ich an die anderen Menschen, die verschwunden waren, und ich konnte mir vorstellen, dass es auch Ihnen so ergangen war.
Waren sie Greisinnen?
Erst als mich Suko anstieß, erwachte ich aus meiner körperlichen Starre. »He, Alter, träumst du?«
»Nicht direkt. Aber wenn, dann waren es Albträume, verdammt noch mal.« Ich stand auf. »Ich denke, wir sollten dieser Doris Clinton mal einen Besuch abstatten.«
Sir James lächelte. »Das hatte ich mir auch gedacht«, sagte er leise, »und Ihnen deshalb die Adresse aufgeschrieben.« Da Suko näher stand, reichte er ihm den Zettel.
Mein Freund warf einen Blick darauf und steckte ihn ein. »Sie hören dann von uns, Sir James.«
»Ja, ich warte.«
***
Es war in den letzten Tagen eine Zeit gewesen, an die Doris Clinton nicht gern zurückdachte. Zum ersten Mal hatte sie sich richtig einsam gefühlt. Sie war krank geworden, eine verfluchte Grippe hatte sie ans Bett gefesselt, und dabei war sie auch vom Willen her dermaßen schwach gewesen, dass sie sich nicht mal dazu hatte überwinden können, ihre Eltern in Sheffield anzurufen. Auch mit ihren Freunden hatte sie nicht telefoniert, sie wollte nur so schnell wie möglich gesund werden. Sie nahm keine Tabletten, sondern vertraute auf die alten Hausmittel, die sie noch von ihrer Kindheit her kannte. Sie machte Wadenwickel, nahm Schwitzbäder, trank viel Orangensaft, später dann auch Tee, und nach drei Tage stellte sie fest, dass sie den Höhepunkt ihrer Krankheit überwunden hatte.
Sie fühlte sich wieder besser.
Sie stand auf.
Dabei hatte sie Glück gehabt, dass ein Stuhl nahe des Betts stand, auf dessen Lehne sie sich hatte abstützen können. Doris fühlte sich schwach wie selten, legte sich wieder nieder, schlief sehr lange und versuchte es dann noch einmal.
In der Nacht stand sie auf, und sie verspürte einen gewissen Hunger. Sie konnte sich auch besser auf den Beinen halten, aß etwas Zwieback, trank dazu ihren Saft und legte sich wieder hin.
Am nächsten Morgen fühlte sie sich wie neugeboren. Die Grippe war tatsächlich aus den Knochen verschwunden. Zwar hätte sie noch keine Bäume ausreißen können, aber es ging ihr wieder besser, und sie duschte sich, zog sich an, verließ dann das Haus, um einzukaufen. Später saß sie in der kleinen Küche und löffelte ihren Joghurt, wobei sie darüber nachdachte, wie es weiterging.
Sie war Studentin, und sie dachte daran, dass sie erst in der nächsten Woche wieder zur Uni gehen wollte. Zuvor würde sich die Clique aber noch treffen. Um einen genauen Zeitpunkt zu erfahren, rief sie bei ihrer besten Freundin an, Margret Fontyn.
Die fürchterliche Nachricht traf sie wie ein Blitzschlag. Margret Fontyn war tot.
Doris Clinton lagen zahlreiche Fragen auf der Zunge, doch sie schaffte es nicht, auch nur eine zu stellen. Sie war einfach fertig mit den Nerven und hatte zudem den Eindruck, dass die Krankheit wieder zurückkehren könnte.
Der Hörer war ihr aus der Hand gefallen. Den gesamten Tag über war sie sich vorgekommen wie jemand, der selbst neben sich hergeht. Heiße und kalte Schauer hatten sich abgewechselt, die über ihren Rücken rannen, und immer wieder waren die Weinkrämpfe über sie gekommen, denn sie konnte es nicht fassen.
Sollte denn alles vorbei sein mit ihr und Margret?
In der Nacht hatte sie Albträume bekommen, durch die immer eine Gestalt geisterte. Ein großer dunkelhaariger Mann, der eine lange hellrote Kutte trug und sie aus seinen grausamen Augen beobachtete. Er war ein Mensch, der ihr keine Chance ließ und etwas Dämonisches an sich hatte. Er war das Grauen, er war der Tod, und in seinem Blick lag ein Versprechen, das Doris an eine Folter erinnerte.
Wie auch die anderen aus der Clique wusste auch sie, dass es gewisse Grenzen gab, die nicht überschritten werden durften, und Doris fragte sich, ob sie diese Grenzen tatsächlich überschritten hatten und sie jetzt die Zeche dafür bezahlen mussten. Margret war tot, einfach aus dem Leben gerissen worden. Da kamen die Erinnerungen zwangsläufig, aber mit ihnen wollte Doris nicht allein fertig werden.
Sie rief der Reihe nach ihre anderen fünf Freunde aus der Clique an und bekam stets die gleiche Antwort.
Ein jeder war verschwunden!
Nicht mehr da, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Er war einfach weg, und es war keine Nachricht hinterlassen worden. Hier braute sich etwas zusammen.
Doris spürte, wie sich ihr Magen
Weitere Kostenlose Bücher