0777 - Phantom aus der Vergangenheit
Personen abgegeben, die dort lagen.
Sternförmig und rücklings auf dem Boden lagen. Ihre Füße zeigten alle auf einen Punkt in der Mitte, ohne allerdings zusammenzutreffen oder sich zu berühren.
Es war schlimm…
Es waren ihre Freunde!
Doris ließ die Hände sinken. Ihre Lippen bewegten sich. Ein erstickt klingendes Flüstern drang dazwischen hervor. Sie sprach Worte, die sie selbst nicht verstand. Zwar wurden sie in ihrem Hirn geboren, doch sie brachte diese nicht in eine verständliche Richtung.
Alles war so schrecklich anders geworden. Diesmal hatte ihr die Welt die grausamste aller Fratzen gezeigt.
Über den sternförmig auf dem Boden liegenden Toten gab eine Lampe Licht ab. Sie sah aus wie eine Sonne, die nur einen schwachen Schein abstrahlte, der ein weiches Licht über die Toten verteilte und sie so ungewöhnlich anders aussehen ließ, als wäre er dabei, ihnen einen Heiligenschein zu geben.
Das stimmte nicht.
Es lag am Licht, das die Konturen hatte weich werden lassen und den Geruch der Verwesung nicht hatte vertreiben können. Ihre Freunde sahen aus, als hätten sie einen Gruppen-Selbstmord begangen, der auf einen Befehl hin geschehen war. Aber das war es nicht nur allein, denn sie alle hatten sich auf eine fürchterliche Art und Weise verändert.
Das waren nicht mehr ihre normalen Gesichter. Was Doris bei ihnen zu sehen bekam, konnte sie kaum beschreiben, denn ihr Verstand weigerte sich einfach.
Es waren furchtbare Gesichter, die von Greisen. Sie sahen zugleich so trocken aus, als hätte ihnen jemand die Feuchtigkeit aus der Haut herausgesaugt.
Fünf Tote!
Doris konnte es noch immer nicht fassen, und sie dachte auch eine Stufe weiter.
Insgesamt hatte die Clique sieben Personen gezählt. Drei Frauen und vier Männer.
Die vier Männer lebten nicht mehr, zwei der drei Frauen auch nicht, denn eine, Margret Fontyn, war in ihrem Haus oder in der Nähe des Hauses gestorben.
Eigentlich hätte auch ich dort liegen müssen, dachte sie. Ich habe nur einfach Glück gehabt, dass dies nicht der Fall war. Ich bin krank geworden, mich hat es nicht erwischt.
Sie wunderte sich darüber, wie ungewöhnlich klar sie denken konnte, und sie schaffte es sogar, sich vorwärts zu bewegen. Sie ging auf die Mitte der Scheune zu.
Doris Clinton hatte nur Blicke für die Toten mit den Greisengesichtern. Die Einrichtung interessierte sie nicht. Sie sah nicht die Tische, die Stühle und die Liegen. Auch nicht den Schrank im Hintergrund, ihr Blick galt einzig und allein den Freunden, mit denen sie so viel Spaß gehabt hatte, was nun der Vergangenheit angehörte.
Das war vorbei, das gab es nicht mehr, die Kälte des Jenseits hatte hier Einzug gehalten und würde so leicht nicht mehr verschwinden.
Was hatten sie getan?
Was hatten sie IHM getan?
Genau das war das Problem, denn sie konnte sich sehr gut vorstellen, dass ER die Schuld an dieser endgültigen Veränderung der fünf Toten trug. Hatte er nicht immer von einer Frische, von einer Jugend, vom heißen Blut gesprochen? Hatte er nicht das Alter gehasst wie die Pest? Hatte er sich nicht den schönen Frauen verschrieben?
War er nicht wie ein zweiter Dorian Gray tief aus der Vergangenheit hervorgekommen, um in der Gegenwart Zeichen zu setzen?
Und sie hatten ihn geholt! Sie hatten ihn gelockt! Sie hatten sich den Tod selbst in ihre Nähe geholt.
Doris wurde übel. Sie musste ihre Hand vor den Mund pressen.
Auch die Knie gaben nach. Zum Glück ragte dicht hinter ihr eine Säule in die Höhe, an der sie sich abstützen konnte. Sie lehnte sich dagegen und versuchte, die Kontrolle über sich selbst zurückzugewinnen, und das musste doch irgendwann klappen.
Das Grauen kam, das Grauen ging. Irgendwann einmal würde es…
Doris’ Gedanken zerbrachen. Sie wusste nicht mehr, was sich in ihrem Kopf abspielte. Sie hatte das Gefühl von Hammerschlägen malträtiert zu werden. Die kalte Angst presste sie zusammen, und hinter den Augen spürte sie ein Brennen, als hätte sich dort Säure verteilt.
Dennoch verlor sie nicht den Blick für die Realität. Und sie stellte fest, dass sich etwas verändert hatte oder die Umgebung dabei war, sich zu verändern.
Es traf sie wie eine Botschaft aus dem Unsichtbaren. Ein kalter und auch ein heißer Hauch. Eine Botschaft, die von zwei verschiedenen Seiten auf sie eindrang.
Doris Clinton wusste Bescheid.
Es war so weit!
Er würde kommen, er war auf dem Weg, das Loch zwischen den Zeiten hatte Bestand.
Und er kam!
Der breite Schatten
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