0785 - Der Kinderschreck
denn nie zuvor hatte er in seinem Leben eine Ratte getötet.
Wo kam das Tier her? Er fragte auch weiter. War es nur die eine Ratte gewesen, oder lauerten noch mehrere dieser verdammten Nager in unmittelbarer Nähe? Er konnte es nicht sagen, Brett wollte nur nicht, dass seine Kinder die beiden Teile fanden. Nicht weit von der Hütte entfernt, wo das Gelände etwas abfiel, war ein Schneewall gebaut worden. Er bildete praktisch die Grenze zum kleinen Nachbargrundstück.
Vor dem Fall grub er mit dem Spaten ein Loch. Dort versteckte er die beiden Rattenhälften. Als er dabei war, das Loch wieder zuzuschaufeln, hörte er von oben die Stimme seiner Frau. Sie hatte das Fenster geöffnet und sich nach draußen gelehnt.
»Brett…!«
Der Mann drehte sich um und schaute nach oben.
Atem dampfte vor Cindys Lippen. »Was tust du da?«
Heftig winkte er ab. »Das erzähle ich dir später. Wo sind denn die Kinder?«
»Schon in unserem Schlafzimmer.«
Gibson war beruhigt. »Ja, das ist gut. Warte noch einen Moment, dann bin ich auch bei dir.«
Cindy gab keine Ruhe. »Was hast du denn da unten getan?« Obwohl sie leise sprach, hallte ihre Stimme in der klaren Winternacht nach.
»Das erzähle ich dir später.«
»Gab es denn Spuren?«
»Auch.«
»Bis gleich.« Cindy kannte den Tonfall in der Stimme ihres Mannes. Da war es besser, wenn sie sich zurückzog und keine weiteren Fragen mehr stellte. Besorgt war sie trotzdem, denn ihr Mann musste etwas Geheimnisvolles getan haben.
»Ist Daddy schon zurück?«, rief Davy. Er lag nicht mehr im Bett und hatte sich in der offenen Tür aufgebaut. Im Arm hielt er einen bunten Nikolaus mit weißem Rauschebart.
»Nein, Daddy ist noch draußen. Er kommt aber gleich.«
»Was macht er denn da? Sucht er den Mann mit dem komischen Gesicht, Mummy?«
»Ich weiß es nicht, Schatz.« Sie griff zu einer Notlüge. »Er wollte noch etwas aus dem Wagen holen.«
»Was denn?«
Cindy schob ihren Sohn zurück ins das Zimmer. »Das hat er mir leider nicht gesagt.«
»Dann frage ich ihn selbst.«
»Das kannst du machen, Davy, aber nicht mehr heute, sondern morgen früh.« Sie legte einen Finger gegen die Lippen. »Sei schön leise, damit Amy nicht wach wird.« Cindy ging zum Fenster und zog die Vorhänge zu.
»So, und jetzt wird geschlafen.«
»Aber du lässt die Tür auf, nicht?«
»Mach ich doch.« Sie gab ihrem Sohn einen dicken Kuss.
»Lässt du auch das Licht im Flur brennen?«
»Klar«, sagte sie von der Tür her, winkte Davy und betrat den Flur. Die Tür ließ sie zur Hälfte offen. Wenig später verschwand das Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie dachte an das seltsame Benehmen ihres Mannes und rechnete damit, dass etwas Schlimmes vorgefallen war. Zumindest hatte er eine Spur entdeckt und damit den Beweis, dass Davy nicht schlecht geträumt hatte.
Brett Gibson hatte das Haus noch immer nicht betreten. Er stand vor der Frontseite und ließ seinen Blick über die graue Schneefläche hinweggleiten, die an manchen Stellen Buckel bekommen hatte und auch des öfteren hell schimmerte. Es hatte aufgehört zu schneien.
Keine Flocke rieselte mehr vom Himmel. Wind hatte die Wolken vertrieben, der Himmel präsentierte sich als eine glatte Fläche mit Gestirnen, die allerdings nicht so klar zu sehen waren, sondern etwas verschwommen wirkten, auch das Gebilde des abnehmenden Mondes.
Die Dunkelheit zeigte eine gewisse Tiefe und Schärfe. Trotz ihrer Intensität sah Brett Gibson den Wald. Eine sehr dunkle, breite Fläche, in der sich Unheil versteckte.
Der Anblick dieses Waldstücks ließ ihn zusätzlich frösteln. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte sich an seinem Rand eine Nebelfront gebildet. Da sah das Unterholz dann aus, als würde es in der Luft schweben.
Bevor er mit seiner Familie in den Urlaub gefahren war, hatte er sich noch einmal die Straßenkarte angeschaut. Den Beschreibungen und Zeichnungen zufolge lag jenseits des Waldes die Grenze zur Tschechei.
Er dachte an den Mann mit der harten Aussprache. Er kam aus dem Nachbarland, da stellte sich die Überlegung, ob er auch dorthin wieder zurückgekehrt war. Für einen Einheimischen musste es leicht sein, über die grüne Grenze zu gelangen.
Längst hatte sich ein negatives Gefühl dem anderen gegenüber aufgebaut. Er hasste ihn. Er mochte keine Menschen, die Kinder erschreckten oder noch Schlimmeres mit ihnen anstellten. Für Brett war der Urlaub zwar nicht gelaufen, nur würde er die Augen offenhalten und die Tage nicht mehr so locker
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