079 - Die Geisterspinne
die aufgeweckten Krieger. Die Königin der Amazonen stand, an eine kalte Säule gelehnt, bewundernd und unsicher da. Zu ihren Füßen lag der Schild. Sie stützte sich auf ihren Speer.
Antiope beobachtete, wie die griechischen Krieger ihre Schwerter an kleinen, eckigen Steinen zu schleifen begannen, und entdeckte - ohne sie zu kennen -, persische Bogenschützen in seltsamen Panzern, mit kurzen Bögen und scharfen Pfeilen. Dann sah sie zwei kleine Männer, deren schwarzes Haar in der Mitte des Schädels hochgebunden war. Sie trugen gekrümmte Schwerter und lange Bögen mit ebensolchen Pfeilen aus Bambus. Diese Helden schienen immer zu lächeln, aber sie bewegten sich wie Nattern. Außerdem sah sie fast nackte Ägypter mit Wurflanzen, Keulen und Steinschleudern, auch Männer mit Felluniformen, breite, gekreuzte Gurte vor der Brust, in denen fingerlange Waffen steckten, osmanische Mehrkämpfer, napoleonische Grenadiere, ungarische Reiter mit Säbeln und Reiterpistolen, blondhaarige Vandalen, in stinkende Bärenfelle gehüllte Barbaren aus dem Norden, zwei Fallschirmjäger aus dem Zweiten Weltkrieg, einen Ritter der Kreuzzug-Zeit, einen Piraten, der stets ein Messer zwischen den Zähnen trug, zwei zwergenhafte Neger mit Pfeil und Bogen, mehrere Landsknechte mit langen Beidhändern. Hunderte von Männern, Hunderte von Helden. Sie alle bereiteten sich auf den letzten Kampf vor.
Antiope seufzte. Sie begann langsam wieder klar zu denken. Stunden hatte es gedauert, bis sie einen Teil ihrer augenblicklichen Lage begriffen hatte. So wie diese Helden ihr gehorchten, dank eines Befehls, den auch sie nicht kannte, so gehorchte auch sie einem unsichtbaren Herrscher. Sie war nicht in Kappadokien, das war sicher; dort gab es solche Gewölbe nicht und auch nicht diese schauerliche Bestie, die Männer mit Krebsscheren köpfte. Sie war auch nicht mehr auf dem Schlachtfeld am Areopag, wo sie gegen die Athener und ihre eigenen Amazonen gekämpft hatte. Es war ein Fehler gewesen, sich Theseus zu unterstellen und den eigenen Stamm zu verraten. Sie war eine Verräterin. Und deswegen mußte sie nun wieder für eine fremde und unbekannte Macht kämpfen.
Nun, sie würde gehorchen. Es gab keine andere Möglichkeit. Sie war die einzige Frau unter so vielen Männern, die alle ihre Sprache verstanden, aber kaum redeten. Es waren Helden. Ihre Arbeit war nicht, zu reden wie die Dichter und Sänger, sondern zu kämpfen.
Sie sah ihnen noch einige Herzschläge lang zu, dann rief sie mit hallender Stimme. „Ihr Helden! Morgen, mit dem ersten Tageslicht, greifen wir die Eindringlinge an. Schärft die Waffen, rüstet euch! Ich werde euch sagen, wie wir kämpfen."
Sie wußte nur, daß es Fremde waren, seltsam gekleidet und mit merkwürdigen Waffen versehen, gegen die sie zu kämpfen hatten.
Ein aufgeregtes Murmeln war die Antwort aus den Gewölben. Alle Krieger schlugen wie besessen ihre Waffen gegeneinander. Ein unbeschreiblicher Lärm tobte in den steinernen Gewölben. Selbst die großen, silbernen Spinnweben zitterten.
Die Stimme, die durch die Gänge flüsterte, würde sich rechtzeitig wieder melden und ihr sagen, was zu tun war.
Die Nacht kam. Bevor sie einschlief, weinte Antiope. Ihr goldfarbenes Haar wurde naß von den Tränen.
Gegen Mitternacht erwachte Domenico Russo, der Zweite Steward. Die Schritte von Andrea Mignone hatten ihn aufgeweckt; außerdem war er durstig. Er schwang sich verschlafen und gähnend, mit einem pelzigen Geschmack auf den Lippen, aus der Koje und schlupfte in den Morgenmantel. Überall in den Korridoren brannte nur die Notbeleuchtung. In den Kabinen war es still. Als er an der Kabinentür der rothaarigen Eve vorbeikam, horchte er, aber er konnte nichts anderes hören als ihr Schnarchen.
Er erreichte die Küche und öffnete den großen Kühlschrank. Noch halbblind griff er nach der Saftflasche. Er fand ein Glas und goß es voll. Dann hielt er sich irgendwo fest und trank das Zeug in einem Zug leer.
„Verdammte Sauferei!" sagte er, wohlig aufstöhnend.
Die Männer hatten berichtet, was sie erlebt hatten. Natürlich war wieder getrunken worden. Am meisten tranken diese drei jungen Dinger, die Jeff irgendwo aufgelesen hatte.
Er brauchte noch ein zweites Glas. Als er ins Innere des Kühlschranks hineinsah, erstarrte er. Zuerst glaubte er, daß seine schlaftrunkenen Augen ihm einen bösen Streich spielten, dann aber sah er die Würmer und Maden ganz deutlich. Sie krochen auf dem Käse unter der durchsichtigen Glocke
Weitere Kostenlose Bücher