079 - Im Würgegriff des Nachtmahres
folgendes zu mir gesagt:
,Warum soll ich zuschließen, Madame Ribon? Wer mich besuchen will, bringt das
trotzdem fertig. Der kommt auch durch eine verschlossene Tür. Merkwürdig,
was?"
Monette nickte. „Aber das paßt zu seiner Krankheit. Darf ich mich
jetzt umsehen, Madame Ribon?"
„Aber natürlich, Herr Doktor."
„Monsieur Lucelion hat mir gesagt, daß er sehr oft am Fenster
gesessen und geschrieben hat. Vielleicht liegt etwas auf dem Tisch."
Monette kam in das Zimmer und blickte sich in der Nähe des Fensters um.
Unauffällig beäugte er dabei die Dachkammer des gegenüberliegenden Hauses. Das
Fenster auf der anderen Seite war nur angelehnt. Leise Musik drang von drüben
herüber. Der Zufall wollte es, daß die Bewohnerin gegenüber sich erhob, zum
Fenster kam und einen Blick nach unten warf, während sie eine Zigarette zu Ende
rauchte.
Monette blickte in ein ebenmäßiges, bleiches, stilles Gesicht, das
von dunklem Haar umrahmt wurde.
Er wandte sich vom Fenster ab, um nicht ihre Aufmerksamkeit auf
sich zu lenken.
Lucelion hatte also nichts erfunden: Sein Bericht stimmte auch in
diesem Punkt.
Er mußte sich im stillen eine zunehmende Unsicherheit und
Verwunderung eingestehen.
„Monsieur Lucelion ist - verrückt, nicht wahr?" wisperte
Madame Ribon. Sie stützte sich auf ihren Besen. „Er spricht mit sich selbst, er
hat Angst vor jemandem, den es nicht gibt. Und er hat eine sonderbare
Angewohnheit, Doktor. Haben Sie gewußt, daß er außer dieser Dachkammer noch
andere gemietet hat?"
„Ja, er hat es mir erzählt."
„Was soll das, frage ich Sie? Anfangs merkte ich gar nicht, daß
etwas mit ihm nicht stimmte. Aber je öfter ich ihm begegnete, je öfter ich ihn
gedankenverloren hier am Fenster sitzen und einfach vor sich hinstarren sah,
desto klarer wurde mir, daß er nicht normal ist. Seltsamerweise habe ich jedoch
keine Angst vor ihm gehabt. Und vor Verrückten muß man doch Angst haben, nicht
wahr?"
„Nein, Madame. Die wenigsten sind gefährlich und gewalttätig.
Meist handelt es sich um harmlose, gutmütige Geschöpfe."
Er durfte sich in der schrägen Dachkammer umsehen. Es gab eine
kleine Kochnische und eine Schlafstelle. Vergebens suchte er nach der
handschriftlichen Notiz, die angeblich vorhanden sein sollte. Doch dieser
Vorwand hatte sich gelohnt.
„Madame", meinte er zum Abschied, „ich muß Ihnen sagen, der
Fall interessiert mich sehr. Felix Lucelion behauptet, Stimmen zu hören. Und
diese Stimmen würden in ganz bestimmten Wohnungen anders klingen. Natürlich ist
das absurd. Aber er hat auch behauptet, durch die Ausstrahlungen anderer
Menschen Gefühle und Stimmungen zu empfangen. Und zwar hänge dieser Zustand
immer von den Menschen ab, die in seiner unmittelbaren Umgebung wohnen würden.
Deshalb hat er sich auch verschiedene Unterkünfte gemietet, um sich dort von
Zeit zu Zeit aufzuhalten. Dieses Verhalten allerdings braucht nicht nur auf
eine Einbildung zurückzuführen zu sein. Ich beschäftige mich derzeit mit
Untersuchungen, die außersinnliche Wahrnehmungen betreffen. Ich möchte nun gern
herausfinden, inwieweit ich einen solchen Einfluß auf Monsieur Lucelion
ausschließen kann. Würden Sie mir erlauben, wieder hierherzukommen? Vielleicht
sogar heute abend noch einmal?"
„Aber bitte, Doktor Monette, wenn Monsieur Lucelion nichts dagegen
einzuwenden hat, ich verwehre Ihnen den Eintritt in dieses Zimmer sicherlich
nicht. Die Tür steht ständig offen. Aber das ist Monsieur Lucelions Sache. Er
fürchtet nicht, daß etwas wegkommen kann. Es gibt keine Wertgegenstände in der
Wohnung."
Monette ging die Treppen hinunter und ließ eine ältliche
Hauswirtin zurück, deren vollstes Vertrauen er in kürzester Zeit gewonnen hatte.
Der Psychiater fuhr nicht sofort zurück.
Scheinbar gedankenverloren schlenderte er die Straße entlang,
zündete sich eine Zigarette an und überquerte dann an der Kreuzung weiter vorn
die Straße. Scheinbar zufällig auch war sein kurzes Stehenbleiben vor dem Haus
Nr. 20, das der Nummer 17 genau gegenüberlag.
Rasch überflog er die Namensschilder und merkte sich den Namen auf
dem oberen Schildchen.
Er lautete: Danielle Rouson.
●
Die Musik spielte dezent ein altes französisches Chanson, und die Chansonette
auf der Bühne gab ihr Bestes, diese Musik mit kleinen Schreien, gekonntem
Stöhnen und heiser geflüsterten Worten zu mixen. Das gelang ihr recht gut.
Im Nachtklub „Noctambules" war heute abend nicht das
männliche Geschlecht in der
Weitere Kostenlose Bücher