079 - Im Würgegriff des Nachtmahres
Behauptung zurück, in ferner
Vergangenheit eine berühmte Seherin gewesen zu sein und Buddha von Angesicht zu
Angesicht gegenübergestanden zu haben.
Und Buddha habe sie gesegnet und ihre übersinnlichen Kräfte
verstärkt.
Durch reine Konzentration könne sie heute ihre Gedanken sowohl in
die Vergangenheit als auch in die Zukunft aussenden, könne genau erfassen, was
dieser oder jener Mensch für ein Schicksal hinter sich habe und was ihn noch
erwarte.,
Aus dem dunklen Hintergrund der Bühne brachte man nach dieser
erstaunlichen, märchenhaft klingenden Vorstellung einen bequemen Sessel.
Darauf nahm Sheherezade Platz, faltete die Hände auf ihrem Schoß,
schloß halb die Augen und saß da wie zur Statue erstarrt.
Ein Scheinwerfer wurde etwas heller, leuchtete die sitzende
Inderin an, die in ihr farbenprächtigen Sari zum Mittelpunkt einer leeren,
düsteren Bühne geworden war.
„Wer möchte zuerst zu mir heraufkommen?" fragte Sheherezade
geheimnisvoll und charmant lächelnd.
Eine halbe Minute lang sah sie sich in der Runde um. Niemand
rührte sich, keiner schien den Mut zu haben, der erste zu sein.
Da erhob sich vom dritten Tisch links ein schlaksiger junger Mann,
strich sich die langen, in die Stirn fallenden Haare zurück und bahnte sich
dann einen Weg durch die dicht stehenden Tische.
„Ein mutiger junger Mann", sagte Sheherezade von ihrem Platz
aus und streckte ihm die Hand entgegen. „Sie haben gar keine Angst vor
mir?"
„Nein", sagte der Gefragte und schüttelte den Kopf.
„Ich kann in Ihrer Seele lesen", warnte Sheherezade. Sie
hielt die Hand fest, als brauche sie den körperlichen Kontakt, um sich in die
Seele des Fremden einfühlen zu können. „Was wird Ihre Freundin Claudia sagen,
wenn ich Ihre Geheimnisse preisgebe?"
„Claudia?" Der Franzose zuckte merklich zusammen. Die
Tatsache, daß die Inderin diesen Namen nannte, schien ihn aufs höchste zu
erschrecken.
Sheherezade hatte mit einem Auftakt begonnen. Im Zuschauerraum
machte sich allgemein« Schmunzeln breit.
Die Inderin legte Wert auf die Bestätigung ihres Mitspielers, daß
sie sich bis vor wenigen Augenblicken noch nicht gesehen hatten, daß keiner den
anderen kannte und daß keinerlei Absprachen zwischen ihnen getroffen worden
waren.
Sheherezade erzählte dann ein paar erstaunliche Einzelheiten aus
der Kindheit des jungen Mannes und wußte komische Episoden zu berichten. Die
Reaktionen des Franzosen, der sich für dieses Experiment zur Verfügung stellte,
zeigten, daß Sheherezade Dinge nannte, die sie eigentlich nicht wissen konnte.
Es sah gerade so aus, als hätte sie die Entwicklung dieses jungen Mannes aus
allernächster Nähe mitverfolgt.
Er wurde merklich blasser.
Die Spannung im Zuschauerraum nahm zu, manche Leute steckten die
Köpfe zusammen und flüsterten miteinander.
Sheherezade entließ ihren Mitspieler mit der Versicherung, daß
Claudia wohl nie etwas von diesem Abend erfahren werde. Das Mädchen, das der
junge Franzose heiraten wollte, lebte in der Bretagne. Die Inderin riet ihm
allerdings, ihr ruhig zu sagen, daß eine Liebschaft mit einer jungen Algerierin,
die er letzten Sommer bei einem Urlaub in Tanger kennenlernte, bestanden habe.
Claudia würde ihm das nicht übelnehmen. Seine Ehe würde glücklich werden.
Benommen, verblüfft und sichtlich froh, daß Sheherezade ihn
entließ, kam der Mutige von der Bühne. Die Lichtverhältnisse waren unverändert,
und so konnte keiner der Anwesenden sehen, daß der junge Mann abwechselnd blaß
und rot wurde, als er seinen Platz am Tisch wieder einnahm.
Seine Tischnachbarn — alles junge Männer in seinem Alter —
grinsten vor sich hin und machten halblaute Bemerkungen.
Sheherezade war klug und geschickt vorgegangen und hatte die Dinge
so ausgesprochen, daß sie nicht peinlich geworden waren.
Die Inderin fragte nach der Bereitschaft eines neuen Mitspielers.
Diesmal hätte sie es gern gesehen, wenn sich eine Dame zur Verfügung stellte.
Die Bereitschaft war nicht groß.
Aber schließlich erhob sich doch jemand. Vom Tisch in der Nische
neben dem schweren Vorhang löste sich eine Gestalt.
Larry glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er die Mutige
erkannte.
Morna Ulbrandson!
Sie wurde von dem Scheinwerfer erfaßt.
Sheherezade lächelte die Agentin an und griff nach der schlanken,
gepflegten Hand.
„Sie sind Ausländerin, Schwedin. Ihr Name ist Morna Ulbrandson,
und sie waren einmal Mannequin." Die Inderin leierte das herunter, als
hätte sie die Daten aus
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