0793 - Als der Engel Trauer trug
Besuch.«
Der Mann nickte uns zu. »Das sehe ich. Was wollt ihr denn hier? Tote besuchen?«
»Nein, Quincy, nur mal schauen, und eine Frage hätte ich dann auch noch.«
»Bitte.«
»Ist dir vielleicht etwas aufgefallen? Was du sonst hier nicht gesehen…«
»Was denn?«
»Das frage ich dich doch.«
»Nein, nichts. Ich habe meine Mary besucht und ihr erklärt, dass ich ihr bald folgen würde. Sie soll mir schon einen Platz im Himmel freihalten. Sie glauben doch auch, dass Mary in den Himmel gekommen ist, Sergeant?«
»Sicher, Quincy, sicher.«
»Dann ist es gut.«
»Gehört hast du auch nichts?«
»Nein. Was sollte ich denn gehört haben?«
Drugg grinste schief. »Schon gut, mein Lieber. Und grüße deine Schwester von mir, wenn du wieder zu Hause bist.«
»Werde ich machen, Drugg – danke.« Er nickte auch uns zu und ging davon. Wir hörten ihn sogar noch weinen.
»Seine Frau ist vor vier Wochen gestorben. Er wohnt jetzt bei seiner Schwester, aber Quincy hat ihren Tod nie fassen können, die beiden waren mehr als fünfzig Jahre zusammen, und Mary hat für ihren Mann alles getan, versteht ihr?«
»Sicher.«
»Gibt es heute nicht oft, dass man diese Hochzeiten feiern kann.«
Er räusperte sich und setzte seinen Weg fort.
Ich ging davon aus, dass es bis zum Ziel nicht mehr weit war, und ich hatte mich nicht getäuscht. Als der Sergeant in einen schmalen Weg eingebogen war, da deutete er nach vorn. »Am Ende des Weges steht das Grabmal, zu dem sich unser Zeuge hat führen lassen.« Drugg schüttelte den Kopf. »Komisch, dass ihm so etwas passiert ist. Ich glaube, mit mir hätte man das nicht machen können.«
»Meinen Sie?«, fragte ich.
»Nun ja, ganz sicher bin ich mir nicht.«
»Eben.«
Wir legten die letzten Schritte zurück. Der Nebel war nicht dichter geworden, wir konnten uns noch relativ gut umsehen, und das Grabmal, von dem der Vertreter gesprochen hatte, fiel tatsächlich aus dem Rahmen, weil es sehr breit und nicht hoch war und durchaus dem Vergleich mit einer großen Kiste oder Truhe standhielt.
»Da ist es«, sagte Drugg, doch seine Stimme wurde mit jedem Wort leiser, bis sie schließlich versickerte.
Wir sahen den Grund.
Der Stein, der Unterbau also, war vorhanden.
Nicht aber die Figur.
Sie war verschwunden!
***
»Scheiße!«, sagte Drugg, mehr nicht, doch das drückte genau aus, was er und auch wir empfanden, denn mit einem Verschwinden dieses Engels hatte wohl keiner gerechnet.
In diesem Augenblick wurde mir klar, dass dieser Fall einen Schub bekommen hatte, sogar eine völlig neue Dimension, und dass wir uns sehr vorsehen mussten, um nicht zwischen gefährliche Mahlsteine zu geraten.
»Wer hat den denn gestohlen…?«
Wir ließen den Sergeant reden, denn an einen Dieb glaubten wir nicht. Ashley hatte uns von den Bewegungen des Engels berichtet.
Wer das schaffte, obwohl er aus Stein bestand, der würde es auch schaffen, sich in die Lüfte zu erheben, schließlich war die Figur mit den entsprechenden Schwingen ausgerüstet.
Drugg hatte weiche Knie gekriegt. Als ich ihn anstieß, zuckte er zusammen. Seine Gesichtshaut bibberte, als er flüsternd sprach.
»Warum ist der denn weg?«
»Keine Ahnung.«
»Da muss ihn jemand…«
Ich hatte gewusst, was er sagen wollte und unterbrach ihn deshalb. »Hören Sie, Sergeant. Kann es nicht sein, dass er sich von allein davongemacht hat?«
»Wie das denn?«
»Zumindest wissen wir von einem Zeugen, dass er sich auf der Truhe sitzend bewegte.«
»Stimmt.« Drugg nickte, aber es sah nicht aus wie eine Zustimmung. Im Gegenteil, er wirkte trotzdem verloren, als wäre für ihn eine Welt zusammengebrochen.
Suko war über das Grab hinweggegangen und dicht vor dem Unterteil mit der überlaufenden Kante stehen geblieben. Er klopfte auf das Gestein und suchte nach Spuren, und zwar dort, wo diese Figur ihren Platz gehabt haben musste.
»Siehst du was?«, fragte ich.
»Nein, nicht einmal Kratzer.«
Es klatschte, als Drugg sich gegen die Stirn schlug. »Ich begreife das nicht, verflucht! Ich komme da einfach nicht mehr mit. Was hat das zu bedeuten? Dieser Engel saß fest auf dem Stein und…«
»Bevor Sie sich aufregen, mein Lieber, oder in Depressionen verfallen, verraten Sie uns lieber, wer hier eigentlich begraben liegt.«
»Wissen Sie das nicht?«
»Nein – woher auch?«
»Ach ja, Sie sind ja nicht von hier. Eine Frau. Eine gewisse Jenna Wade.«
Den Namen hatten wir nie gehört. Suko stand wieder bei uns, und er fragte: »Was war
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