0797 - Rasputins Tochter
anrufen. Sie befanden sich noch in der Luft und würden, falls die Maschine einigermaßen pünktlich war, erst in zwanzig Minuten landen. Er hatte trotzdem das unbestimmte Gefühl, dass dieser Anruf mit seinem Fall zusammenhing, und er kam nicht einmal dazu, sich zu melden, denn der Kollege, der den schrecklichen Mordfall unter seine Leitung genommen hatte, sagte: »Ich möchte, dass Sie zu mir kommen.«
»Was gibt es?«
»Eine Spur!«
Plötzlich brannte das grüne Filzkissen unter seinem Hinterteil.
»Stimmt das wirklich?«
»Ich denke schon.«
»Gut, bin in ein paar Sekunden bei Ihnen.«
Golenkow knallte den Hörer zurück auf die schwarze Gabel. Er flog förmlich in die Höhe und hatte mit einem großen Schritt die schmale Tür erreicht, die er hastig aufriss.
So eng sein Büro auch war, im krassen Gegensatz dazu standen die Gänge im Polizeipräsidium. Sie wirkten wie breite Kanäle, die den Bau durchschnitten, verbunden mit ebenso breiten Treppenhäusern und der düsteren Bemalung der Wände. Wer hier hineingeführt wurde, der kriegte allein durch den Eindruck schon Angst.
Kollege Marischkow residierte in einem der großen Zimmer mit Schreibtisch und Sitzecke. Er war ein gedrungener Mann, dessen Haare sich auf den Hinterkopf konzentrierten. Die stechenden, dunklen Augen hatten schon in früheren Zeiten Gefangene eingeschüchtert, er war aber in seinem Amt geblieben, weil er als Fachmann galt. Und der graue, zu eng sitzende Anzug mit dem angeschmuddelten Hemd darunter und der dunklen Krawatte stammte auch noch aus den Zeiten des Kommunismus.
»Setzen Sie sich.«
Wladimir ließ sich auf einen Stuhl fallen und machte seine Beine lang. Über den Schreibtisch hinweg schaute er Marischkow an.
»Okay, was gibt es?«
»Nicht so hektisch, es kann auch eine Seifenblase sein.«
»Besser als gar nichts.«
Der kantige Marischkow hob die Schultern. »Nun ja, wir werden sehen. Jedenfalls ist uns der Zufall in Form eines Jägers zu Hilfe gekommen. Er und andere Kollegen durchstreiften die Wälder in der Nähe unserer Stadt auf der Suche nach Wilderern. Wie Sie wissen, braucht Mütterchen Russland Fleisch, aber das nur am Rande. Er stolperte nicht über ein Wild, sondern über eine Leiche.« Marischkow hob den Arm und führte die Hand quer an der Kehle vorbei.
Wladimir nickte.
»Das war unser Mörder!«
»Ja – möglich.« Er räusperte sich.
»Wie sicher sind die Angaben? Sind Ihre Leute schon am Tatort gewesen?«
»Nein, sie sind unterwegs. Wir haben alles telefonisch gemacht. Dieser Jäger ist ein ausgezeichneter Mann. Er hat uns die Beschreibung der Leiche durchgegeben, wir sind über die genaue Todesursache informiert, und er hat noch etwas getan, für das man diesen Mann einfach loben muss. Er hat sich nämlich die Papiere des Toten eingesteckt, mir alles vorgelesen, und dieser Mann hatte auch Lieferscheine dabei, aufgrund derer wir Rückschlüsse ziehen können. Wir haben also nachgeforscht und festgestellt, dass er im Auftrag einer Firma fuhr, die Haushaltsmaschinen liefert, und eigentlich hätte neben dem Toten auch ein Lastwagen stehen müssen. Der stand aber nicht da.«
»Verstehe«, sagte Wladimir. »Wir können davon ausgehen, dass der Mörder ihn hat.«
»Ja. Und damit unterwegs ist.«
»Nicht schlecht, oder?«
»Sogar wunderbar, mein Freund.« Marischkow lehnte sich zurück.
Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Mag man uns auch anhängen, was man will, jedenfalls haben wir nicht geschlafen und sofort eine Fahndung nach dem Wagen eingeleitet. Ich denke, dass er uns irgendwann in die Falle fahren wird.«
»Das ist nur zu hoffen.«
»Warum so skeptisch, Kollege?«
Golenkow hob die Schultern. »Nennen Sie es Gefühl. Ein Täter, der locker so viele Menschen umbringt, ist mit allen Wassern gewaschen, denke ich. Der lässt sich nicht so einfach aus dem Konzept bringen, denn der wird auch über seinen Tellerrand hinweg denken können.«
Wladimir sprach bewusst immer von einem Täter. Er hatte den Kollegen nicht eingeweiht, denn der hätte ihm kaum abgenommen, dass in Wirklichkeit nach einer Frau gefahndet wurde.
Marischkow steckte sich ein Pfefferminzbonbon zwischen die braunen Zähne und nickte. »Sie werden es erleben, wir kriegen das Schwein noch in dieser Nacht.«
»Meinen Sie?«
»Davon bin ich sogar überzeugt.«
Wladimir war anderer Meinung, behielt sie aber für sich. Stattdessen kam er auf die Einzelheiten der Untersuchung zu sprechen.
»Wann können wir denn damit
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