0797 - Rasputins Tochter
die schwere Klinke war noch vorhanden. Larissa drückte sie nach unten. Dabei stemmte sie sich auf das Metall, was nicht ausreichte, denn die Tür war verschlossen.
Unmutsfalten zeichneten ihre Stirn. Sie wollte hinein, und sie würde es auch schaffen, deshalb hob sie den Arm, ballte die rechte Hand zur Faust und hämmerte einige Male gegen das Holz, um anschließend dem dumpfen Echo der Schläge zu lauschen.
Sie verklangen im Flur des Klosters und hörten sich an, als hätte eine Uhr das Schicksal eingeläutet.
In den folgenden Sekunden geschah nichts. Vor der großen Tür sah die Gestalt der Frau einsam aus. Larissa hatte sich in ihren Pelzmantel eingewickelt, den Kragen hochgestellt, um sich in der etwas zugigen Türnische zu schützen.
Es wurde geöffnet.
Langsam, wie im Film, und nach einem bestimmten von der Regie erstellten Muster.
Sie hörte das Knarren. Unzählige Seelen litten im Feuer und schrien ihre Pein hinaus. Ein düsteres Loch entstand, der Eingang zu einer Höhle, in der sich Dämmer und Finsternis zu einem schwadigen Grau zusammenmischten.
Die Tür war nicht von selbst aufgezogen worden. Ein Mann hatte die Klinke von innen ergriffen und zuvor einen Riegel gelöst. Er trug eine schwarze Kutte, die Kapuze hatte er über den Kopf gezogen, nur sein Gesicht lag frei, eine kalkbleiche Fläche, in der nur die dunklen Augen zu sehen waren.
Er zog die Tür weiter auf und verbeugte sich. Tief drückte er dabei seinen Oberkörper nach unten, um der Besucherin die Referenz zu erweisen.
Larissa nickte ihm huldvoll zu, als sie das Kloster betrat. Sie wusste, was man ihr schuldig war, ging einige Schritte vor und blieb dann in der Halle stehen.
Eine hohe Decke wölbte sich über ihr, beinahe vergleichbar mit dem Himmel draußen, nur etwas heller und von flackernden Schatten bedeckt, denn in der Halle brannten Kerzen. Sie standen in schweren Haltern, die im Hintergrund aufgestellt worden waren, und ihr Licht huschte auch über die Wände hinweg, wo alte Malereien sichtbar wurden, eingerahmt von den goldenen Kanten breiter Rahmen.
Ein Hauch der alten Pracht war hier noch zu spüren, und Larissa wollte, dass eben diese Pracht wieder zurückkehrte. Das Kloster sollte zu dem werden, was es einmal gewesen war, zu einem Hort der magischen Kräfte, denen einst ein ganz Großer der Geschichte gedient hatte, ein Mann namens Rasputin.
Sein Geist war nicht vergangen, sein Geist würde immer bleiben.
Töten konnte man ihn nicht, er hatte sich in den letzten Jahrzehnten nur zurückgezogen.
Das war wie bei Larissas Mamutschka.
Rasputin war der Mann mit den sieben Leben. Wie viele Mamutschka gehabt hatte, wusste Larissa nicht, aber ihr war bekannt, dass es zwischen den beiden eine Verbindung gegeben hatte. Deshalb war sie auch hergeführt worden.
Sie hörte hinter sich die Schritte des Türöffners. Er hüstelte verlegen, als er neben ihr stehen blieb. Larissa drehte den Kopf nach rechts. Der Mann war kleiner als sie.
»War das alles?«, fragte sie.
»Nein;«
»Was folgt?«
»Ich möchte dich bitten, an meiner Seite zu bleiben. Wir haben dich erwartet. Wir sind… wir sind … ja, wir sind überrascht, denn du bist das, von dem wir immer geträumt haben. Wir wussten, dass es dich gibt, aber wir hätten nie gedacht, dass wir dich auch finden würden. Jetzt ist es so weit, und nichts kann uns mehr aufhalten.«
Für Larissa hatte der Mann in Rätseln gesprochen. Sie konnte seine Worte nicht begreifen, denn was hatte sie mit den Jüngern Rasputins zu tun? Eigentlich nichts – oder?
In der letzten Zeit hatte sie es sich abgewöhnt nachzudenken, Mamutschka war diejenige, die alles richten würde. Ihr musste sie sich unterwerfen.
»Darf ich dich bitten, mir zu folgen?«
»Wohin?«
»Zum Licht«, sagte er flüsternd.
»Und was ist dort?«
»Da wirst du viele Antworten auf deine Fragen bekommen, Königin, das kannst du mir glauben.«
Königin war sie genannt worden, und Larissa dachte über den Grund nach. So hoch hätte sie nie greifen wollen, sie war keine Königin, nicht in diesem Kloster, in dem sich wieder die Jünger Rasputins zusammengefunden hatten.
Oder war sie es doch?
Mamutschka hatte ihr nicht grundlos den Weg gewiesen. Sie, musste etwas mit dem geheimnisvollen Sohn eines Bauern zu tun haben, der mal als Magier, mal als Teufel oder als Ränkeschmied in die Bücher und Erzählungen der Menschen eingegangen war.
Der Boden im Kloster war dunkel, doch blank geputzt, fast hätte sie sich darin
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