0797 - Rasputins Tochter
als ich einschenkte, stellte ich die nächste Frage. »Es ist nicht falsch, wenn ich sage, dass sie auch über Leichen gehen?«
Fjodor nickte.
»Es sind Fanatiker«, stellte Wladimir fest. »Die anderen Mönche haben sie immer beobachtet und im Laufe der Jahre einiges an Material über sie sammeln können. Die Jünger verteilen sich nicht über das ganze Land, sie halten sich eher in Nähe der großen Städte wie Moskau oder St. Petersburg auf, aber man darf sie auch nicht unterschätzen. Sie werden alles daransetzen, um ihren Wirkungskreis zu behalten. Dafür haben sie einfach zu lange schmachten müssen. Larissa ist für sie der springende Punkt gewesen, sie steht in einem Zusammenhang mit Rasputin, sie wird von den Jüngern als dessen Tochter angesehen, obwohl sie es biologisch nicht ist.« Wladimir lehnte sich zurück. »Das ist zwar etwas kompliziert, doch wenn man die Gedankengänge der Leute nachvollzieht, bekommt man schon eine gewisse Logik hinein, denke ich.«
»Ja, du hast Recht.«
»Jedenfalls müssen wir sie stoppen«, sagte Suko. Er schaute von einem zum anderen. »Hat denn jemand einen Vorschlag, wie wir das schaffen sollen?«
»Hinfahren.« Fjodor räusperte sich. »Wir müssen dem Kloster einen Besuch abstatten, ob wir wollen oder nicht.«
Ich nickte. »Einfach und wahr.«
Suko dachte praktischer. »Wo liegt es? Müssen wir weit fahren? Bei dem Wetter kann das ja Stunden dauern, auch wenn das Ziel relativ nahe liegt.«
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Da brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Es ist ein altes Gemäuer am Stadtrand von St. Petersburg. Allerdings befindet es sich in einer Gegend, wo sich kaum ein Spaziergänger hin verläuft. Von uns wurde es nur das tote Gelände genannt, weil in der Nähe eine wilde Müllkippe liegt, die praktisch alles Leben ausgesaugt und vernichtet hat.«
Das musste uns für den Anfang reichen. Ich stieß unseren Freund Wladimir an. »Wie sieht es aus? Können wir?«
»Immer.«
»Hast du dir einen Plan zurechtgelegt?«
»Nein, wir müssen improvisieren. Warum fragst du?«
Ich hob die Schultern. »Wer weiß, wie hoch die Anzahl unserer Gegner sein wird. Da frage ich mich natürlich, ob wir drei genug sind und nicht noch Verstärkung mitnehmen sollen?«
»Wen denn?«
»Das müsstest du wissen.«
Golenkow schüttelte den Kopf. Er wollte nicht. »Nein, John, das wird nicht klappen. Ich kenne hier meine Pappenheimer. Gegenüber meinen anderen Kollegen stehe ich auf einem ziemlich verlorenen Posten. Man kennt, aber man akzeptiert mich nicht. Es liegt erst kurze Zeit zurück, als ich mit Kommissar Marischkow überhaupt nicht auf einen Nenner kam. Er untersucht die schrecklichen Morde mit seinen Methoden, die dafür auch richtig sind. Wir aber werden einen anderen Weg einschlagen, denke ich. Seid ihr einverstanden?«
Suko und mich brauchte er nicht erst zu fragen. Es kam jetzt auf Fjodor an.
Der stimmte auch zu.
Gemeinsam standen wir auf. Bevor wir gingen, schafften Suko und ich jedoch noch unser Gepäck nach oben in die Zimmer, die kaum größer waren als Knastzellen.
Dann waren auch wir bereit.
Meine Gedanken hatten sich in den letzten Minuten immer wieder um Larissa gedreht. Die Begegnung mit ihr kam mir stets in den Sinn. Ich dachte daran, wie ich in ihrem Bett gelegen und sie auf mir gesessen hatte, nackt und mit einem Rasiermesser in der Hand, dessen Klinge mir die Kehle hatte durchschneiden sollen.
Mit viel Glück war ich der Falle entkommen.
Suko sah die Gänsehaut auf meinem Gesicht. »Woran hast du jetzt gedacht, John?«
»Bestimmt nicht an etwas Schönes.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Er fragte nicht mehr weiter, und ich war froh darüber.
***
Die Stille lag in der Eingangshalle des alten Klosters, als hätte sie sich festgefressen. Die Schritte des Greises waren verstummt. Er hatte schnaufend die Treppe hinter sich gebracht und seine oben auf der Galerie wartenden Freunde erreicht. Mindestens zehn Männer standen dort eingehüllt in ihren schwarzen Kutten und lauerten auf den Trank. Sie alle lechzten und gierten nach dem Blut des großen Rasputin. Sie würden es schmecken, schlürfen und trinken, und ihre neue Königin würde ihnen von unten her zuschauen und diese Szenen genießen.
Die Galerie dort oben war breit genug, um den Männern das Aufstellen in einem Kreis zu erlauben. Der kleine Greis war mitten in ihn hinein getreten, hatte noch mit ihnen geflüstert und war nun dabei, den ersten Schluck aus der Schale zu
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