0797 - Rasputins Tochter
kannst auf uns zählen, wenn du dich aufmachst, Führerin des Schlangenkults zu werden.«
»War er das auch?«
»Ja, er hat den Kult gegründet und sich dabei auf das Paradies bezogen, wo die Schlange die erste Siegerin gewesen ist. Das wollte auch er sein, der Sieger, und er wird es auch lange Zeit nach seinem Tod durch dich schaffen.«
Larissa war überzeugt. Für einen Moment schloss sie die Augen, weil sie sich ganz sich selbst hingeben wollte. Die nahe Vergangenheit lief wie ein schneller Film vor ihrem geistigen Auge ab, und die Londoner Stationen huschten als Momentaufnahmen vorbei.
Ein bittend gesprochener Satz riss sie wieder aus ihrer Trance hervor in die Wirklichkeit. »Dürfen wir dann um dein Blut bitten, Königin?«
Larissa öffnete abrupt die Augen. Sie sah den Greis in einer lauernden und gleichzeitig unterwürfigen Haltung vor ihr stehen, den Kopf angehoben und starr in ihre Augen blickend.
»Ja«, sagte sie leise, »das dürft ihr. Ich werde euch mein Blut geben.«
»Deines und Rasputins…«
»Auch das.«
Der Greis bückte sich. Noch in der Bewegung streckte er seine Arme aus und umfasste mit seinen krallenartigen Zitterhänden die Schale, die er sorgsam vom Boden anhob. »Ich möchte dir nur sagen, dass sie sehr wertvoll ist, denn sie stammt aus dem Nachlas unseres Meisters. Wir haben sie gehütet wie einen Augapfel. Über all die Jahre haben wir sie von Versteck zu Versteck gebracht, doch nun ist sie wieder bereit, ihren eigentlichen Zweck zu erfüllen.«
Larissa nickte. Sie schaute auf den Boden der Schale, als wollte sie ihn ausmessen. Das Licht der Kerzen umfasste die beiden unterschiedlich großen Gestalten. Es schien in der letzten Zeit noch düsterer und unheimlicher geworden zu sein, und es huschte heran wie ein schattenhafter Todesbote, der die Seelen der Lebenden auffressen wollte.
»Wie viel von meinem Blut soll die Schale füllen?«
»Es muss den Boden bedecken. Wir alle brauchen nur wenige Tropfen, um von der Kraft des Meisters erfüllt zu werden.«
»Und es ist nicht zu verdünnt?«
»Nein, denn die Keime unseres Meisters werden sich nicht verdünnen oder verwässern lassen.«
»Dann bin ich zufrieden.« Sie war es nicht nur, sie zeigte es auch, indem sie die rechte Hand aus der Tasche zog und das schon aufgeklappte Rasiermesser hervorholte.
Tanzende Reflexe wischten über die Klinge und hauchten ihr für einen Moment unheimliches Leben ein. Der Greis leckte über das, was früher vielleicht einmal Lippen gewesen waren, jetzt aber nur als faltige Hautstreifen sein Gesicht in der unteren Hälfte zeichneten.
»Wir brauchen das Blut«, erklärte er, »denn wir haben nicht nur Freunde, auch die Feinde sind sehr zahlreich.«
Larissa hatte das Messer bereits an ihrem linken Handballen angesetzt. Jetzt aber zögerte sie, hineinzustechen und fragte: »Wer sind unsere Feinde?«
Aus dem dunklen Mund des Greises strömte ein hohles Kichern.
»Mönche, andere Mönche«, wisperte er mit rauer Stimme. »Sie haben uns schon immer gejagt, schon in alter Zeit waren sie gegen Rasputin und haben intrigiert, obwohl mancher orthodoxe Bischof auf seiner Seite stand. Sie aber haben sich nicht blenden lassen und von einem wahren Teufelswerk gesprochen, und das hat sich bis in die heutige Zeit gehalten, kann ich dir sagen. Sie haben Spione, sie wissen bereits Bescheid…«
»Über mich?«
»Ich denke schon. Deshalb ist es auch an der Zeit, uns stark, sehr stark zu machen.«
Larissa lächelte grausam. Mit einer wilden Bewegung schleuderte sie ihr Haar zurück. »Ich weiß, dass es Feinde gibt. Sie müssen vernichtet werden.«
Der Greis atmete zitternd durch die Nase, bevor er sagte: »Diese Worte machen mich glücklich.«
»Das sollen sie auch!«
»Und jetzt möchte ich Blut sehen.«
Die junge Frau setzte das Messer wieder an der alten Stelle an. Sie spürte die Schärfe der Klinge und schaute dabei in das Gesicht des Uralten vor ihr.
Der wartete zitternd. Er wollte endlich den roten Saft aus der Wunde und in die Schale fließen sehen, und es war nicht Larissa, sondern er, der zusammenzuckte, als sie ihre rechte Hand bewegte und dabei die Klinge in den Handballen senkte.
Für einen Moment geschah nichts. Dann aber quoll und spritzte das Blut hervor. Dunkel, zuckend, ein schon wilder Strom, der es im Körper nicht mehr ausgehalten hatte und endlich seinen Weg hinaus ins Freie suchte.
Sie musste die linke Hand schnell drehen, damit das Blut auch in die Schale floss.
Beide schauten
Weitere Kostenlose Bücher