0797 - Rasputins Tochter
nehmen.
Er hatte den Rand gegen seine faltigen Lippen gedrückt und die Schale etwas gekippt. Schwerfällig rann Larissas Blut auf seinen Mund zu, und mit der Zungenspitze schlug er dem Saft schon zuckend entgegen.
Nur wenige Tropfen reichten ihm. Er holte sie sich mit der Zunge, kaute darauf und schluckte sie dann.
Danach reichte er die Schale weiter. Obwohl jeder Jünger darauf gewartet hatte, behielten alle die Kontrolle über sich. Keiner drängte sich vor, jeder würde an die Reihe kommen, das wussten sie, und nur das leichte Zittern der Hände zeugte von der Spannung und Nervosität.
Sie kosteten das Blut, es schmeckte ihnen, es war für sie ein Wundertrank, von dem sie sich sehr viel erhofften.
Larissa war in der Halle stehen geblieben. Auch von ihrem Platz aus konnte sie zuschauen. Sie sah, wie Hände die Schale weiterreichten, wie Lippen und Zungen nach dem Blut gierten, hörte, wie die Stille immer dann unterbrochen wurde, wenn die Jünger Rasputins Blut schmatzend kosteten.
Es war beinahe wie bei einer Weinprobe, nur zeigte sich hier ein jeder zufrieden.
Der letzte bekam die Schale gereicht. Er leckte die letzten Tropfen heraus und reichte das Gefäß dem Greis zurück.
Der schaute hinein. Es war leer. Es hatte also gereicht.
Larissa streckte ihren rechten Arm in die Höhe, und wieder funkelte das Kerzenlicht auf der Messerklinge. »Ist die Schale leer? Habt ihr sein und mein Blut gekostet?«
»Sie ist leer bis auf den letzten Tropfen!«, rief der Greis. Seine Stimme hatte sich verändert. Sie klang längst nicht mehr zitternd und brüchig und war viel kräftiger geworden, als wäre seine Jugend wieder zurückgekehrt, um das Alter vergessen zu machen.
Larissa war zufrieden. Nicht nur das. Sie freute sich wie jemand, der soeben die ganze Welt gewonnen hatte. Also hatte es doch einen Sinn gehabt. All die Arbeit, die vielen Worte, das vergossene Blut.
Sie hatten mitgeholfen, längst vergessene Zeiten wieder auferstehen zu lassen. Ein Geräusch schreckte sie aus ihren Gedanken. Der Greis hatte kräftig mit dem rechten Fuß gegen den Boden getreten und dabei ein polterndes Echo hinterlassen.
Beide Arme streckte er in die Luft, winkelte sie wieder an und streckte sie hoch. »Ich fühle mich so gut wie seit langem nicht mehr. Endlich habe ich es geschafft.« Er lachte kreischend wie ein Kind, ließ die anderen stehen und hetzte auf die Treppe zu, die er mit weiten Sprüngen nahm.
Es wirkte wegen seiner Größe schon komisch, aber Larissa lächelte nicht über ihn. Sie sah nur den Erfolg, den ihr keiner mehr nehmen konnte. Die große Siegerin in diesem Spiel war einzig und allein sie, Rasputins Tochter.
Auch die letzten Stufen nahm der alte Mann mit einem Sprung.
Beinahe wäre er ausgerutscht. Er fing sich wieder und stand wenig später in dem Lichtkreis, wo er sich auf die Zehenspitzen stellte, um Larissa anschauen zu können.
Noch immer zeigte sein Gesicht ein runzliges Muster, nur leuchtete jetzt in seinen Augen eine schon wilde Frische. Er war zu allen Mordtaten bereit.
Er umfasste ihre linke Hand, an der sich keine Wunde mehr zeigte.
Bei ihr heilte alles sofort. »Jetzt sind wir stark. Das Blut Rasputins, das auch in deinen Adern fließt, hat dafür gesorgt.« Er schüttelte ihre Hand wie einen Pumpenschwengel, und sein Gesicht zog sich noch mehr in die Breite. »Für mich ist es ein Tag der Freude. Nach all den Jahren haben wir es endlich geschafft.«
Larissa widersprach nicht. Sie konnte sich vorstellen, was ihre Freunde durchgemacht hatten, doch was war jetzt mit ihnen? Was hatte das Blut tatsächlich geschafft?
»Wie gut bist du?«, fragte sie deshalb.
Der Greis funkelte sie an. »Wer immer hier erscheint, wir werden ihn zerstören.«
»Und wenn er dich zerstört?«
»Das wird er nicht schaffen!«, keuchte der kleine Alte. »Dein Blut hat mich«, er schaute in die Höhe, »hat uns zu dem gemacht, was du auch bist, Larissa.«
Sie hatte begriffen. »Nicht verletzbar?«
»So ist es.«
Sie zeigte ihm ihr Messer. Er zuckte nicht zurück, als die Klinge vor seinem Gesicht auftauchte. Im Licht der Kerzen schien der mittlerweile wieder blank gewordene Stahl zu zerfließen, und sie fragte:
»Soll ich es ausprobieren?«
Der Greis nickte so heftig, dass ein Teil seiner Haare an das Messer geriet und gekappt wurde. »Ja, du kannst es versuchen. Ich erwarte es sogar von dir.«
»Nun gut«, sagte sie und lächelte hinterlistig. Dann drückte sie die Hand blitzschnell vor, zog die Klinge
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