08-Die Abschussliste
wieder die 9 und wählte die Nummer in Irwin. Calvin Franz’ Sergeant meldete sich sofort.
»Ich brauche Franz«, sagte ich.
Nach einem Klicken herrschte zunächst Stille. Ich machte mich schon darauf gefasst, warten zu müssen, als Franz sich doch meldete.
»Du musst etwas für mich tun«, sagte ich.
»Was denn?«
»Bei euch hält sich ein Mann vom XII. Korps namens Marshall auf. Du kennst ihn?«
»Nein.«
»Er muss dort bleiben, bis ich selbst bei euch aufkreuze. Das ist sehr wichtig.«
»Ich kann Leute nicht daran hindern, Irwin zu verlassen - außer ich verhafte sie.«
»Du brauchst ihm nur zu sagen, dass ich aus Berlin angerufen habe. Das müsste reichen. Solange er glaubt, ich sei in Deutschland, bleibt er in Kalifornien.«
»Wieso?«
»Weil ihm das befohlen worden ist.«
»Kennt er dich?«
»Nicht persönlich.«
»Wie stellst du dir das Gespräch vor? Ich meine, ich kann nicht einfach zu einem Kerl hingehen, den ich gar nicht kenne, und zu ihm sagen: He, brandheiße Neuigkeiten, ein Typ namens Reacher, den Sie nicht kennen, lässt Ihnen ausrichten, dass er in Berlin festsitzt.«
»Etwas geschickter musst du’s schon anstellen«, sagte ich. »Erklär ihm, dass ich dir aufgetragen habe, ihn etwas zu fragen, weil ich unmöglich selbst nach Irwin kommen kann.«
»Was fragen?«
»Frag ihn nach dem Tag, an dem Kramer beerdigt wurde. War er mit auf dem Friedhof Arlington? Was hat er am Nachmittag dieses Tages gemacht? Wieso hat er seine Vorgesetzten nicht nach North Carolina chauffiert? Mit welcher Begründung sind sie selbst gefahren?«
»Das sind vier Fragen.«
»Schon gut. Jedenfalls muss es irgendwie so klingen, als ob du in meinem Auftrag fragst, weil ich nicht die Absicht habe, selbst nach Kalifornien zu kommen.«
»Wo kann ich dich erreichen?«
Ich sah aufs Telefon und las die Nummer des Hotels George V. ab.
»Das ist Frankreich«, sagte er. »Nicht Deutschland.«
»Marshall braucht das nicht zu wissen«, entgegnete ich. »Ich bin später wieder hier.«
»Wann kommst du nach Kalifornien?«
»Binnen achtundvierzig Stunden, hoffe ich.«
»Okay«, sagte er. »Sonst noch was?«
»Ja«, antwortete ich. »Ruf in Fort Bird an, und lass meine Sergeantin die Biografien von General Vassell und Oberst Coomer zusammenstellen. Besonders interessiert mich, ob einer der beiden eine Verbindung zu der Kleinstadt Sperryville in Virginia hat. Dort geboren, dort aufgewachsen, verwandtschaftliche Beziehungen - kurz gesagt alles, was darauf schließen lässt, sie könnten wissen, was für Einzelhandelsgeschäfte es dort gibt. Sag ihr, sie soll die Informationen bei sich behalten, bis ich mich bei ihr melde.«
»Okay. War’s das jetzt?«
»Nein«, sagte ich. »Außerdem soll sie Detective Clark in Green Valley anrufen und ihn bitten, uns das Ergebnis seiner Anwohnerbefragungen in Bezug auf die Neujahrsnacht zu faxen. Sie weiß dann, wovon ich rede.«
»Freut mich, dass irgendwer das tut«, meinte Franz.
Er notierte sich die Punkte.
»War’s das jetzt?«, fragte er.
»Vorerst schon.«
Ich legte auf und kam mit ungefähr fünf Minuten Verspätung in die Hotelhalle. Summer wartete schon auf mich. Sie trug wie ich ihren Kampfanzug. Irgendwie hatte sie’s geschafft, ihre Stiefel zu putzen oder sie sich putzen zu lassen. Sie waren auf Hochglanz poliert.
Wir konnten uns kein Taxi zum Flughafen leisten. Deshalb gingen wir zur Place de l’Opéra und fuhren mit dem Bus. Er war weniger überfüllt als am Tag zuvor, aber ebenso unbequem.
Wir erreichten den Flughafen Charles de Gaulle wenige Minuten vor sechs Uhr. Ich hatte den Eindruck, Flughäfen funktionierten in variablen eigenen Zeitzonen. Auf diesem hier herrschte um sechs Uhr mehr Betrieb als an jedem beliebigen Nachmittag. Überall drängten sich Menschen. Autos und Busse wurden be- und entladen; Flugreisende kamen aus dem Terminal oder strömten hinein, kämpften mit ihrem Gepäck. Die ganze Welt schien unterwegs zu sein.
Auf der Anzeigetafel sahen wir, dass Joes Maschine bereits gelandet war. Wir machten uns auf den Weg zu den Ausgängen. Gesellten uns dort zu den zahlreichen Wartenden. Ich rechnete damit, dass Joe zu den ersten herauskommenden Passagieren gehörte. Er würde nur mit Handgepäck gereist sein und den Weg durchs Terminal in raschem Tempo zurücklegen. Ohne Verzögerungen.
Wir erkannten einige Nachzügler, die mit der vorigen Maschine angekommen waren. Meist Familien mit kleinen Kindern oder Einzelreisende, die auf sperrige
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