08-Die Abschussliste
wirklich strafbar gemacht.«
»Allerdings«, sagte ich.
Ich sah auf meine Uhr. Es war kurz vor drei. Wir waren vom Dulles Airport nach Süden unterwegs. Fuhren schnell und ziellos durch die Nacht.
»Weißt du meine Telefonnummer in Bird?«, fragte ich.
»Klar«, sagte Summer.
»Okay, dann halten wir beim nächsten Telefon.«
Ungefähr fünf Meilen weiter entdeckte sie eine Vierundzwanzigstundentankstelle. Sie erhellte den gesamten Horizont. Wir bogen ab und entdeckten hinter den Zapfsäulen einen kleinen Lebensmittelmarkt, der jedoch geschlossen hatte. Für Tankkunden gab es um diese Zeit einen Nachtschalter hinter Panzerglas. An der Außenwand des Gebäudes neben dem Druckluftschlauch hing ein Münztelefon. Es befand sich in einer an die Wand geschraubten Aluminiumbox, in deren Seitenwände jemand die Umrisse eines Telefonhörers gebohrt hatte. Summer wählte die Nummer meiner Dienststelle in Fort Bird und übergab mir den Hörer. Sofort nach dem ersten Klingeln meldete sich meine Sergeantin. Die Frau vom Nachtdienst. Die mit dem kleinen Sohn.
»Hier ist Reacher«, meldete ich mich.
»Sie stecken tief in der Scheiße«, sagte sie.
»Und das ist die gute Nachricht«, meinte ich.
»Wie lautet die schlechte?«
»Sie werden sich mit mir treffen. Wen haben Sie als Babysitterin?«
»Die Tochter meiner Nachbarn passt auf ihn auf. Aus dem Trailer nebenan.«
»Kann sie eine Stunde länger bleiben?«
»Wozu?«
»Ich möchte, dass Sie mir ein paar Sachen mitbringen.«
»Das kostet aber.«
»Wie viel?«
»Zwei Dollar die Stunde. Für die Babysitterin.«
»Ich besitze keine zwei Dollar. Das sollen Sie mir auch mitbringen, Geld.«
»Ich soll Ihnen Geld geben?«
»Nur leihen«, sagte ich. »Für ein paar Tage.«
»Wie viel?«
»Was Sie gerade haben.«
»Wann und wo?«
»Sobald Sie dienstfrei haben. Um halb sieben. Im Schnellrestaurant gegenüber dem Striplokal.«
»Was soll ich alles mitbringen?«
»Unterlagen über Telefongespräche«, antwortete ich. »Alle Gespräche, die zwischen Silvester um Mitternacht und ungefähr dem dritten Januar von Fort Bird aus geführt wurden. Und ein Army-Telefonbuch. Ich muss mit Sanchez und Franz und allen möglichen anderen Leuten telefonieren. Und ich brauche Major Marshalls Personalakte. Er ist der Mann vom XII. Korps. Die Akte müssen Sie sich von irgendwoher faxen lassen.«
»Sonst noch was?«
»Ich will wissen, wo Vassell und Coomer ihren Dienstwagen geparkt haben, als sie am vierten Januar zum Abendessen in Bird waren. Hören Sie sich um, ob das jemandem aufgefallen ist.«
»Okay«, sagte sie. »War’s das dann?«
»Nein. Ich will wissen, wo sich Major Marshall am zweiten und dritten Januar aufgehalten hat. Stellen Sie irgendwie fest, ob an diesen Tagen Reisegutscheine für ihn ausgegeben worden sind. Und ich brauche die Telefonnummer des Hotels Jefferson in Washington.«
»Das sind verdammt viele Aufträge für drei Stunden.«
»Deshalb frage ich ja Sie und nicht den Kerl, der tagsüber Dienst hat. Sie sind besser als er.«
»Geschenkt«, meinte sie. »Mit Schmeichelei kommen Sie bei mir nicht weiter.«
»Hoffen darf man immer«, sagte ich.
Wir stiegen wieder ein und fuhren nach Osten, um auf die I-95 zu gelangen. Ich forderte Summer auf, langsam zu fahren, denn ich wollte nicht, dass wir das Schnellrestaurant vor meiner Sergeantin erreichten. Sie würde dort gegen halb sieben eintreffen. Ich wollte kurz nach ihr ankommen. Wollte mich vergewissern, dass sie mich nicht verpfiffen und so in einen Hinterhalt gelockt hatte. Das war zwar unwahrscheinlich, aber doch nicht ganz auszuschließen. Ich wollte vorbeifahren und die Lage sondieren und nicht schon kaffeetrinkend in einer Nische sitzen, wenn Willard aufkreuzte.
»Wozu brauchst du all diese Sachen?«, fragte Summer.
»Ich weiß jetzt, was mit Mrs. Kramer passiert ist«, antwortete ich.
»Woher?«
»Ich hab’s rausgekriegt. Ich hätte es schon früher rauskriegen müssen, aber ich habe nicht richtig nachgedacht. Ich hatte nicht die nötige Vorstellungskraft.«
»Es genügt nicht, sich Dinge vorzustellen.«
»Doch, das reicht«, sagte ich. »Manchmal geht’s nur darum; wenn man als Ermittler nichts anderes hat. Man muss sich vorstellen, was Leute gedacht und wie sie gehandelt haben müssen. Man muss sich in sie hineinversetzen.«
»In welche Leute?«
»Vassell und Coomer«, erwiderte ich. »Wir wissen, wer sie und wie sie sind. Deshalb können wir vorhersagen, was sie getan
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