08-Die Abschussliste
Fingerabdrücke auf der Tatwaffe. Fast zu perfekt, um wahr zu sein. Erwies der angebliche Dienstunfall sich als unhaltbar, würde er nach jedem sich bietenden Strohhalm greifen.
»Wir könnten einen Spezialisten holen«, meinte Summer. Sie stand dicht hinter mir.
»Wir dürfen keinen Außenstehenden in die Sache hineinziehen«, sagte ich. »Das wollte ich ja schon bei Ihnen nicht.«
Sie kam nach vorn und ging in die Hocke. Teilte die Grashalme mit den Händen, um das Brecheisen näher betrachten zu können.
»Nicht anfassen!«, warnte ich sie.
»Hatte ich nicht vor«, sagte sie.
Wir begutachteten die Tatwaffe gemeinsam aus nächster Nähe. Sie war ein aus einer achteckigen Stahlstange geschmiedetes Brecheisen, das wie ein Qualitätswerkzeug aussah. Es war fabrikneu und mit der schwarzen Lackfarbe gestrichen, die Leute für Autos und Boote verwenden. Seine Form erinnerte
mich ein wenig an ein Altsaxophon. Es hatte eine Länge von neunzig Zentimetern, war leicht S-förmig gebogen und an einem Ende schwach, am anderen so stark gekröpft, dass der Buchstabe J entstand. Beide abgeflachten Enden wiesen in der Mitte einen Spalt auf, mit dem Nägel aus Balken gehebelt werden konnten. Sein Design war stromlinienförmig, schnörkellos und brutal.
»Kaum benutzt«, sagte Summer.
»Unbenutzt«, sagte ich. »Jedenfalls als Brecheisen.«
Ich stand auf.
»Auf Fingerabdrücke müssen wir es nicht untersuchen«, erklärte ich. »Wir können davon ausgehen, dass der Täter Handschuhe getragen hat.«
»Auch die Blutgruppe brauchen wir nicht zu ermitteln«, sagte sie. »Es handelt sich bestimmt um Carbones Blut.«
Ich schwieg.
»Wir könnten es einfach hier liegen lassen«, meinte Summer.
»Nein«, sagte ich. »Auf keinen Fall.«
Ich knotete das Schuhband meines rechten Stiefels auf, zog den Schnürsenkel ganz heraus und verband die Enden durch einen Kreuzknoten miteinander. Nun hatte ich eine geschlossene Schlinge mit ungefähr vierzig Zentimetern Durchmesser. Ich wickelte sie mir um die rechte Hand und zog das freie Ende durchs dürre Gras, bis es sich unter dem einen gekröpften Ende des Brecheisens verfing. Dann zog ich das schwere Stahlteil vorsichtig aus dem Gras und hielt es hoch.
»Auf geht’s«, sagte ich.
Ich humpelte mit halb ausgezogenem Stiefel um den Wagen herum zur Beifahrertür, wobei das Brecheisen leicht hin und her schwang. Ich rückte dicht an den Getriebetunnel heran und ließ das Brecheisen so tief hängen, dass es leicht den Wagenboden berührte, damit es unterwegs nicht pendelte und an meine Beine stieß.
»Wohin?«, fragte Summer.
»Zur Leichenhalle«, gab ich zur Antwort.
Ich hatte gehofft, der Pathologe und seine Mitarbeiter würden um diese Zeit beim Frühstück sein, aber dem war nicht so. Sie befanden sich alle an ihren Plätzen. Der Pathologe selbst kam uns im Foyer entgegen. Er war mit einer Akte in der Hand irgendwohin unterwegs und musterte erst uns, dann die an meinem Schnürsenkel baumelnde Trophäe. Er brauchte nur eine halbe Sekunde, um zu begreifen, was ich da hatte, und eine weitere halbe Sekunde, um zu erkennen, in welch verzwickte Lage wir dadurch alle gerieten.
»Wir könnten später wiederkommen«, schlug ich vor. Wenn Sie nicht da sind.
»Nein«, sagte er. »Gehen wir in mein Dienstzimmer.«
Ich beobachtete ihn, während er vor mir herging. Er war ein kleiner Mann mit kurzen Beinen, lebhaft, kompetent, etwas älter als ich, umgänglich und vermutlich nicht dumm. Das sind nur sehr wenige Mediziner. Sie müssen Unmengen von kompliziertem Stoff lernen, bis sie ihren Beruf ausüben können. Und außerdem hielt ich ihn für moralisch. Auch das waren meiner Erfahrung nach die meisten Mediziner. Sie sind im Grunde ihres Herzens Wissenschaftler und bleiben als solche an Tatsachen und der Wahrheit interessiert. Oder sie bewahren sich zumindest eine Art Neugier. Das alles war von Vorteil, denn die Reaktion dieses Mannes würde entscheidend wichtig sein. Er konnte uns gewähren lassen - oder uns mit einem einzigen Anruf ans Messer liefern.
Sein Dienstzimmer, ein einfacher quadratischer Raum mit einer Reihe von Schreibtischen und Aktenschränken aus grau lackiertem Stahl, war ziemlich voll gestopft. An den Wänden hingen gerahmte Diplome. In den Regalen standen Akten und Fachbücher. Nirgends Gläser mit entnommenen Organen. Keine in Formalin eingelegten Kuriositäten. Hätten die Diplome nicht von Medical Schools, sondern von Law Schools gestammt, hätte dies das Büro eines
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