08 - Ehrenschuld
ist mit Ihnen los?«
Jack holte tief Luft. »Also, ja, Mr. President, es war so eine spontane Eingebung. Die Frage ist jetzt: Was werden wir machen?«
Durling beruhigte sich. »Tut mir leid, das haben Sie nicht verdient.«
»Doch, Mr. President, ich hab's verdient. Ich hätte Mary Pat schon vor einiger Zeit anweisen können, sie herauszuholen, aber ich habe es nicht getan«, bemerkte Ryan düster. »Das habe ich nicht, vorhergesehen.«
»Das kann doch niemand, Jack. Was nun?«
»Den juristischen Attache an der Botschaft können wir nicht einschalten, weil wir noch nichts davon >wissen<, aber wir sollten das FBI darauf vorbereiten, daß sie der Sache nachgehen, nachdem wir offiziell verständigt wurden. Ich kann mit Dan Murray darüber sprechen.«
»Shaws designierter Schläger?«
Ryan nickte. »Dan und ich kennen uns schon lange. Was den politischen Aspekt angeht, bin ich mir nicht sicher. Gerade ist die Übersetzung seiner Fernsehansprache gekommen. Bevor Sie das lesen, meine ich, sollten Sie wissen, mit was für einer Sorte wir es zu tun haben.«
»Sagen Sie, gibt es viele von diesen gewöhnlichen Scheißkerlen unter den Regierungschefs?«
»Das wissen Sie besser als ich, Sir.« Jack dachte kurz darüber nach. »Das ist nicht das schlechteste. Solche Leute sind schwach, Mr. President. Feiglinge, wenn es drauf ankommt. Wenn man schon Feinde hat, ist es besser, wenn sie Schwächen haben.«
Es könnte sein, daß er auf Staatsbesuch kommt, dachte Durling. Dann müßten wir ihn im Blair House, direkt gegenüber, unterbringen. Wir müßten ein Staatsbankett geben: Im East Room werden artige Reden geschwungen, wir toasten einander zu und schütteln uns die Hände, als wären wir dicke Freunde. Zu so etwas verurteilt zu sein! Er nahm den Schnellhefter mit Gotos Rede und überflog sie.
»Dieser Scheißkerl! >Amerika wird begreifen müssen<, der Arsch!«
»Zorn, Mr. President, ist ein schlechter Ratgeber.«
»Sie haben recht«, gab Durling zu. Er schwieg einen Moment, und dann sagte er mit einem hintergründigen Lächeln: »Wenn ich mich recht erinnere, sind Sie doch der Jähzornige.«
Ryan nickte. »Ja, das hat man mir schon vorgeworfen, Sir.«
»Das heißt dann wohl, daß wir zwei große Probleme anpacken müssen, wenn wir aus Moskau zurück sind.«
»Drei, Mr. President. Wir müssen entscheiden, was wegen Indien und Sri Lanka zu tun ist.« An Durlings Gesicht konnte Jack ablesen, daß der Präsident sich erlaubt hatte, dieses eine Problem zu vergessen. Durling hatte sich erlaubt, noch ein anderes Problem zu verdrängen. »Wie lange werde ich noch warten müssen?« wollte Ms. Linders wissen.
Murray sah ihr die Qual noch deutlicher an, als er sie aus ihren Worten heraushörte. Wie sollte man das erklären? Bereits Opfer eines abscheulichen Verbrechens, hatte sie bei seiner Enthüllung ihr Innerstes vor allen möglichen fremden Menschen bloßgelegt. Das war für niemanden ein Vergnügen gewesen, aber am allerwenigsten für sie. Murray war ein geschickter und erfahrener Untersuchungsbeamter. Er wußte, wie man durch Tröstung, Ermutigung und Schikane Informationen aus den Leuten herausholte. Er war der erste FBI-Beamte gewesen, der sich ihre Geschichte angehört hatte, und er hatte damit ebenso zu ihrer seelischen Gesundheit beigetragen wie Dr. Golden. Danach waren ein Mann und eine Frau gekommen, die sich genauer auf Fälle dieser Art spezialisiert hatten. Nach ihnen waren zwei getrennt arbeitende Psychiater gekommen, deren Fragen unvermeidlich etwas hartnäckiger gewesen waren, einerseits, um definitiv zu klären, daß ihre Geschichte in allen Einzelheiten stimmte, und andererseits, um ihr einen Vorgeschmack auf die Feindseligkeit zu geben, die ihr im Prozeß bevorstand.
Murray war klar, daß Barbara Linders dadurch noch mehr zum Opfer geworden war, als sie es vorher gewesen war. Sie hatte ihren ganzen Mut zusammengenommen, zuerst, um sich Clarice zu offenbaren, dann dasselbe gegenüber Murray, dann wieder und noch ein weiteres Mal. Jetzt sah sie der schwersten Prüfung entgegen, denn einige der Mitglieder des Justizausschusses waren Verbündete von Ed Kealty, und einige würden sich nicht scheuen, die Zeugin in die Mangel zu nehmen, sei es, um sich beim Fernsehpublikum einzuschmeicheln, sei es, um zu demonstrieren, daß sie als Juristen unparteiisch und sachlich sind. Barbara wußte das. Murray selbst war mit ihr die zu erwartende schwere Prüfung durchgegangen, hatte ihr sogar die schrecklichsten Fragen vorgehalten, immer
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