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08 - Ehrenschuld

08 - Ehrenschuld

Titel: 08 - Ehrenschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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Nachhutgefecht von den Soldaten in ihrem letzten Moment der Vollendung.
Die Einheimischen nannten es Banzai Cliff, bei denen, die weniger rassistisch waren, hieß es Suicide Cliff. Yamata würde seine PR-Leute beauftragen, einen respektvolleren Namen zu finden. Der 9. Juli 1944 war der Tag gewesen, an dem der organisierte Widerstand endete. Der Tag, an dem die Amerikaner die Insel Saipan für »sicher« erklärt hatten.
Eigentlich waren es zwei Klippen, die landeinwärts zurückwichen und zwischen sich so etwas wie ein Amphitheater bildeten; die höhere erhob sich zweihunderrvierzig Meter über die lockende See. Als Erinnerungsmale waren vor Jahren von japanischen Studenten Marmorsäulen errichtet worden, deren Formgebung an Kinder gemahnen sollte, die knieend beteten. Hier mußte es gewesen sein, daß sie sich der Kante genähert hatten, einander an den Händen haltend. Er konnte sich an die starken Hände seines Vaters erinnern. Ob sein Bruder und seine Schwester sich gefürchtet hatten? Wahrscheinlich waren sie mehr verwirrt als ängstlich gewesen, dachte er, nach einundzwanzig Tagen des Lärms und des Grauens und der Verständnislosigkeit. Mutter hatte wohl zu Vater hinübergeschaut. Eine warmherzige, kleine, rundliche Frau, deren fröhliches melodisches Lachen ihrem Sohn noch in den Ohren klang. Zu seinem Vater waren die Soldaten gelegentlich grob gewesen, aber nie zu ihr. Und nie zu den Kindern. Und der letzte Dienst, den die Soldaten ihnen erwiesen hatten, hatte darin bestanden, die Amerikaner von ihnen fernzuhalten in jenem letzten Moment, als sie von der Klippe gesprungen waren. Einander an den Händen haltend, wie Yamata glauben wollte, jeder in einer letzten liebevollen Umarmung ein Kind an sich gedrückt, stolz, sich der Gefangenschaft durch Barbaren zu entziehen, und ihren anderen Sohn als Waise zurücklassend. Yamata konnte seine Augen schließen und es alles vor sich sehen, und zum ersten Mal schauderte ihn, ergriffen von der Erinnerung und von dem Bild, das er sich ausmalte. Nie hatte er sich bisher ein anderes Gefühl erlaubt als Wut, all die vielen Male, die er im Laufe der Jahre hierher gekommen war, doch nun konnte er seinen Gefühlen wahrlich Luft machen und weinen vor Stolz, denn er hatte seine Ehrenschuld abgetragen gegenüber denen, die ihm das Leben geschenkt hatten, und ebenso seine Ehrenschuld gegenüber jenen, die sie in den Tod getrieben hatten. Restlos.
Der Fahrer schaute zu. Er wußte nichts, aber er verstand, denn er kannte die Geschichte dieses Ortes, und auch er war zu Tränen gerührt, als ein zitternder Mann von über sechzig Jahren in die Hände klatschte, um die Geister seiner schlafenden Familienangehörigen auf sich aufmerksam zu machen. Aus hundert Meter Entfernung sah er, wie Schluchzer die Schultern des Mannes zucken ließen, und schließlich legte Yamata sich hin, in seinem Anzug, und schlief ein. Vielleicht würde er von ihnen träumen. Vielleicht, dachte der Fahrer, würden die Geister, wessen Geister es auch sein mochten, ihn in seinem Schlaf heimsuchen und ihm sagen, was er hören mußte. Doch die eigentliche Überraschung, dachte der Fahrer, war, daß der alte Mistkerl überhaupt eine Seele hatte. Vielleicht hatte er seinen Chef falsch eingeschätzt.
»Bei denen läuft aber auch alles wi e am Schnürchen«, sagte sich Oreza, während er durch das Fernglas sah, das er zu Hause benutzte.
    Vom Wohnzimmer aus konnte er die Flughäfen sehen, und das Küchenfenster gewährte einen Blick auf den Hafen. Die Orchid Ace war längst fort, und ihren Liegeplatz hatte eine andere Autofähre eingenommen, Century Highway No. 5, und sie lud jeepartige Fahrzeuge und Lastwagen aus. Portagee war ziemlich mitgenommen, nachdem er sich die ganze Nacht gezwungen hatte, aufzubleiben. Mittlerweile hatte er siebenundzwanzig Stunden ohne Schlaf hinter sich, davon einige, in denen er auf dem Meer westlich der Insel schwer gearbeitet hatte. Für solche Dinge war er zu alt, das war dem Master Chief klar. Burroughs, jünger und klüger, hatte sich auf dem Wohnzimmerteppich zusammengerollt und schlief.
    Zum ersten Mal seit Jahren spürte Oreza das Verlangen nach einer Zigarette. Sie halfen einem, wach zu bleiben. Bei Gelegenheiten wie dieser brauchte man sie einfach. Ein Krieger brauchte sie - so zeigten es jedenfalls die Filme über den Zweiten Weltkrieg. Aber dies war nicht der Zweite Weltkrieg, und er war kein Krieger. Trotz allem, was er in über dreißig Jahren bei der US-Küstenwache erlebt

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