08 - Ehrenschuld
Medizin. Weitere Beweise für meine Ehrlichkeit habe ich leider nicht vorzuweisen.« Der Major registrierte einen schwachen Ausdruck der Freude auf dem Gesicht des jüngeren Mannes und fragte sich nach dem Grund dafür.
So weit, so gut, dachte John. Fast. »Tja, Boris, Sie wissen jedenfalls, wie Sie die Aufmerksamkeit eines Mannes wecken können. Vielleicht können Sie uns jetzt erzählen, was zum Teufel hier eigentlich vorgeht.«
»Wir wurden auch überrascht«, begann Scherenko und berührte alle entscheidenden Ereignisse. Es stellte sich heraus, daß seine Informationen etwas besser waren als die, die Chet Nomuri geliefert hatte, aber sie enthielten nicht alles. So war es beim Geheimdienst. Man hatte nie ein vollständiges Bild, und die fehlenden Teile waren immer wichtig.
»Woher wissen Sie, daß wir sicher arbeiten können?«
»Sie wissen, daß ich nicht befugt bin ...«
»Boris Iljitsch, mein Leben liegt in Ihrer Hand. Sie wissen, daß ich eine Frau und zwei Töchter habe. Mein Leben ist für mich und für sie wichtig«, sagte John sachlich und beeindruckte damit den Profi ihm gegenüber nur noch mehr. Es hatte nichts mit Angst zu tun. John wußte, daß er ein fähiger Agent war, und Scherenko machte denselben Eindruck. >Vertrauen< war eine Idee, die bei Geheimdienstoperationen zugleich bedeutsam und fehl am Platz war. Man mußte seinen Leuten vertrauen, und trotzdem konnte man
ihnen nie völlig vertrauen in diesem Geschäft, wo die Duplizität das Leben bestimmte.
»Ihre Tarnung ist besser, als Sie denken. Die Japaner halten Sie für Russen. Deswegen werden sie Ihnen keinen Ärger machen. Wir werden darauf achten«, sagte der stellvertretende Resident vertraulich zu ihm.
»Und wie lange?« fragte Clark, sehr scharfsinnig, wie Scherenko fand.
»Ja, diese Frage stellt sich immer, nicht wahr?«
»Wie bleiben wir in Verbindung?« fragte John.
»Ich nehme an, Sie brauchen eine hochwertige Telefonverbindung.« Er reichte ihm unter dem Tisch eine Karte. »In Tokio ist jetzt alles Glasfaser. Wir haben mehrere ähnliche Leitungen nach Moskau. Ihre spezielle Kommunikationstechnik wird gerade dort hingeflogen. Ich habe gehört, daß sie hervorragend ist. Ich würde sie gerne sehen«, sagte Boris mit einer hochgezogenen Augenbraue.
»Es ist bloß ein Computerchip«, sagte Chavez zu ihm. »Ich wüßte nicht mal, welcher es ist.«
Clever, dachte Scherenko.
»Wie ernst meinen es die Japaner?« fragte Clark.
»Sie scheinen insgesamt drei Divisionen auf die Marianen verlegt zu haben. Die amerikanische Marine ist angegriffen worden.« Scherenko teilte die Details mit, die er wußte. »Ich sollte Ihnen sagen, daß Sie nach unserer Einschätzung große Schwierigkeiten haben werden, die Inseln zurückzuerobern.«
»Wie groß?« fragte Clark.
Der Russe zuckte die Achseln, nicht ohne Mitgefühl. »Moskau glaubt, es ist unwahrscheinlich. Ihre Fähigkeiten sind inzwischen fast so mickrig wie unsere.«
Und darum ist das hier passiert, entschied Clark spontan. Deshalb hatte er einen neuen Freund in einem fremden Land. Er hatte Chavez gegenüber schon bei ihrer ersten Begegnung Henry Kissinger zitiert: »Auch Leute mit Verfolgungswahn können Feinde haben.« Manchmal fragte er sich, warum die Russen den Spruch nicht auf ihre Geldscheine druckten, so wie »E pluribus unum« in Amerika. Der Haken war, sie hatten eine lange Geschichte, die ihn bestätigte. Genau wie Amerika.
»Sprechen Sie weiter.«
»Wir haben ihren zivilen Geheimdienst gründlich unterwandert, den militärischen genauso, aber THISTLE ist ein Netz, das in der Wirtschaft aktiv ist, und ich glaube, Sie haben bessere Informationen als ich. Ich weiß nicht, was das Ganze bedeutet.« Was nicht die volle Wahrheit war, aber Scherenko unterschied zwischen dem, was er wußte, und dem, was er dachte, und als guter Spion sprach er im Augenblick nur das erstere aus.
»Wir haben also beide eine Menge Arbeit.«
Scherenko nickte. »Und kommen Sie in die Botschaft, wann immer Sie wollen.«
»Sagen Sie uns Bescheid, wenn das Kommunikationsgerät aus Moskau da ist.« Clark hätte noch mehr sagen können, hielt aber inne. Er würde sich erst dann völlig sicher sein, wenn er die offizielle Bestätigung hatte. Seltsam, daß er sie brauchte, dachte er, aber wenn Scherenko die Wahrheit über das Ausmaß seiner Unterwanderung der japanischen Regierung sagte, konnte auch er selbst aufgeflogen sein. Und gerade in diesem Geschäft hatten alte Gewohnheiten ein zähes Leben. Das einzig Beruhigende
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