08 - Ehrenschuld
weitblickende Geschäftsleute in Wirklichkeit ein kompliziertes Kartenhaus errichtet, das sich nur auf den Glauben stützte, der Großraum Tokio besitze mehr inneren Wert als ganz Amerika zwischen Bangor und San Diego. (Als weitere Folge erwuchs daraus eine Auffassung über den Wert von Grundbesitz, die mehr als jeder andere Faktor japanische Geschäftsleute zu der Ansicht bewögen hatte, amerikanische Immobilien, die denen in ihrem eigenen Land schließlich recht ähnlich sahen, mehr wert sein mußten, als die dummen Amerikaner dafür verlangten.) Anfang der neunziger Jahre waren beunruhigende Gedanken aufgetaucht. Der rapide Verfall des japanischen Aktienmarktes hatte die Gefahr heraufbeschworen, daß die großen, auf Sicherheiten gestützten Effektenkäufe platzen könnten, und manchen Geschäftsmann zu der Überlegung bewögen, zur Deckung seiner Verbindlichkeiten seinen Grundbesitz zu veräußern. Dabei war man zu der bestürzenden, aber nicht überraschenden Erkenntnis gekommen, daß niemand bereit war, für ein Stück Land den Buchwert hinzulegen, und daß es nicht besonders realitätsnah war, den angenommenen Preis tatsächlich zu zahlen, auch wenn jeder den Buchwert theoretisch akzeptierte. Auf diese Weise war die eine Karte, auf der der ganze Rest des Hauses ruhte, stillschweigend unter dem Gebilde weggezogen worden, und es genügte nur ein Lufthauch, um das ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen - eine Möglichkeit, die führende Wirtschaftsbosse in ihren Gesprächen geflissentlich ignoriert hatten. Bis jetzt.
Die Männer in dem Badezuber waren seit langen Jahren Freunde und
Geschäftspanner, und als Kozo Matsuda jetzt leise und würdevoll mitteilte, daß sein Unternehmen sich derzeit in Liquiditätsschwierigkeiten befinde, sahen sie alle eine kollektive Katastrophe an einem Horizont aufziehen, der plötzlich viel näher war, als sie noch zwei Stunden zuvor angenommen hatten. Die anwesenden Banker konnten Kredite anbieten, doch die Zinsen waren jetzt höher. Die Industriellen konnten ihm mit Gefälligkeiten aus der Patsche helfen, was sich aber auf ihre Erträge auswirken würde, mit negativen Folgen für die bereits wankenden Aktienkurse. Ja, sie konnten ihren Freund vor dem Ruin bewahren, dem in ihrer Gesellschaft eine persönliche Schande anhaftete, die ihn für immer aus diesem vertrauten Kreis ausschließen würde. Wenn sie es nicht taten, würde er seine »beste« Möglichkeit wahrnehmen und einige seiner Bürogebäude unauffällig auf den Markt bringen in der stillen Hoffnung, jemanden zu finden, der sie ihm zu einem Preis abnahm, der dem angenommenen Preis nahekam. Aber das war äußerst unwahrscheinlich - sie wußten es; sie selbst würden nicht dazu bereit sein - und wenn bekannt würde, daß der Buchwert ebenso fiktiv war wie die Schriften von Jules Verne, dann würden auch sie Verluste erleiden. Die Banker würden zugeben müssen, daß die Sicherheiten ihrer Kredite und damit die Sicherheit des Geldes ihrer Einleger ebenfalls eine leere Fiktion war. Eine Menge von »realem« Geld, die derart gewaltig war, daß man sie nur als eine Zahl erfassen konnte, würde wie durch einen bösen Zauber verschwunden sein. Aus all diesen Gründen würden sie tun, was sie tun mußten, sie würden Matsuda und seinem Unternehmen helfen, wofür er ihnen natürlich Zugeständnisse machen würde, aber sie würden das Geld, das er und seine Betriebe benötigten, vorschießen.
Das Problem war, daß sie es zwar einmal tun konnten, wahrscheinlich zweimal und vielleicht sogar ein drittes Mal, daß die Schwierigkeiten sich aber bald häufen und ihr eigenes niederziehendes Gewicht entwickeln würden, und irgendwann würde es soweit sein, daß sie nicht mehr das tun konnten, was nötig war, um das Kartenhaus aufrechtzuerhalten. Es war nicht einfach, sich die Konsequenzen auszumalen.
Alle sechs Männer blickten aufs Wasser, unfähig, einander in die Augen zu sehen, weil ihre Gesellschaft es einem Mann nicht ohne weiteres erlaubte, Angst erkennen zu lassen, und Angst war es, was sie alle empfanden. Sie trugen schließlich die Verantwortung. Sie leiteten ihre Unternehmungen selbst, ebenso autokratisch wie ein J. P. Morgan. Mit der Kontrolle über ihre Unternehmen fiel ihnen ein verschwenderischer Lebensstil, unermeßliche persönliche Macht und, letzten Endes, die uneingeschränkte persönliche Verantwortung zu. Schließlich hatten sie alle Entscheidungen getroffen, und wenn diese Entscheidungen falsch gewesen waren, dann
Weitere Kostenlose Bücher