08 Geweihte des Todes - Adrian Lara
die Lippen, nicht völlig überzeugt. „Vielleicht sollte Gideon sich das mal ansehen.“
„Es ist nichts“, wiederholte Brock ungeduldig. Er nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in den Ausschnitt seines schwarzen T-Shirts. „Was ist mit Jenna? Wie schlimm ist es?“
Tess sah zu ihr hinunter und verzog ein wenig das Gesicht. „Lass mich mal sehen. Es ist ein Jammer, dass meine Gabe wegen des Babys unterdrückt ist, sonst könnte ich sie in ein paar Sekunden heilen. So dauert es wohl über eine Stunde, bis ich die Blutung einigermaßen unter Kontrolle habe.“
Tess war eine geschickte und engagierte Tierärztin gewesen, bevor sie ins Hauptquartier gezogen und Dantes Gefährtin geworden war. Seither war sie Gideons rechte Hand in der Krankenstation, wo sie viel größere und definitiv mürrischere Patienten versorgte als in ihrer früheren Klinik in der Stadt.
Als Stammesgefährtin besaß auch sie eine individuelle übernatürliche Gabe – die ihr kleiner Sohn erben würde, genau wie Brock die Gabe seiner Mutter geerbt hatte. Auch Tess konnte durch Berührung heilen, nur ging ihre Gabe noch weiter als seine. Brock konnte menschliche Schmerzen absorbieren, aber nur mit vorübergehender Wirkung. Tess konnte jede lebende Kreatur tatsächlich wieder gesund machen und sogar Tote wiederbeleben.
Oder vielmehr war sie dazu fähig gewesen, bevor die Schwangerschaft ihre Kräfte unterdrückt hatte.
Aber trotzdem war sie immer noch eine verdammt gute Ärztin, und Jenna konnte nicht in besseren Händen sein. Und doch fiel es Brock schwer, vom Operationstisch zurückzutreten, obwohl sein Blutdurst ihn fast wahnsinnig machte.
Er stand völlig reglos da, während sich Tess die Hände wusch und dann eine flüchtige Untersuchung der Wunde vornahm. Sie bat Renata, in der Nähe zu bleiben und ihr zu assistieren, dann redete sie beruhigend auf Jenna ein und erklärte ihr, was sie tun musste, um die Kugel herauszuholen und die Wunde zu versorgen.
„Soweit ich sehen kann, ist der Knochen nicht verletzt, und es wird relativ einfach sein, die Kugel rauszuholen und die Arterie zu reparieren, die sie aufgerissen hat. Das ist die gute Nachricht.“ Sie hielt inne. „Die schlechte Nachricht ist, dass wir hier unten nicht perfekt für diese Art von Verletzung ausgerüstet sind – will sagen, für normalsterbliche Patienten. Tatsächlich bist du die Erste, die wir hier in der Krankenstation des Hauptquartiers jemals hatten.“
Jennas Blick glitt zu Brock hinüber, wie um sich das Gehörte bestätigen zu lassen. „Bin ich vielleicht ein Glückspilz, ich sitze in einer Vampirklinik fest!“
Tess lächelte voller Mitgefühl. „Wir kriegen das schon hin, das verspreche ich dir. Bloß haben wir hier dummerweise sonst keinen Bedarf für Anästhesie. Die Krieger brauchen keine Narkose, wenn sie mit Verletzungen reinkommen, und wir Stammesgefährtinnen haben beschleunigte Wundheilung durch die Blutsverbindung. Aber ich kann dir eine lokale …“
„Ich mach das schon“, unterbrach sie Brock und kam bereits um den Tisch herum, um sich neben Jenna zu stellen. Er hielt Tess’ fragendem Blick stand. „Das Blut macht mir nichts aus, damit komm ich schon klar. Lass mich ihr helfen.“
„Na gut“, antwortete Tess leise. „Dann lasst uns anfangen.“
Brock starrte, ohne zu blinzeln, als Tess eine Schere vom Instrumententablett nahm und sich daranmachte, Jennas ruinierte Hose aufzuschneiden. Zentimeterweise fiel die blutgetränkte Jeans zur Seite, von ihrem rechten Knöchel bis ganz zur Hüfte hinauf. Es war nur eine Frage von Minuten, und alles, was Jenna unten herum noch trug, war ein knapper weißer Baumwollslip.
Brock schluckte, seine Kehle arbeitete hörbar beim Anblick von so viel weicher Frauenhaut, während gleichzeitig der kupfrige Sirenengesang von Jennas Blut in seinen Sinnen widerhallte.
Er musste vor Hunger laut geknurrt haben, denn im selben Augenblick öffnete Jenna erschrocken die Augen. Er musste schon einen furchterregenden Anblick bieten, wie er über dem Operationstisch aufragte, sein Blick fest auf sie gerichtet, jeder Muskel und jede Sehne seines Körpers angespannt wie eine Klaviersaite. Aber auch, wenn sie vielleicht Angst vor ihm hatte, sah Jenna nicht weg. Sie starrte ihn nieder, ohne zu blinzeln, und in ihren mutigen haselnussbraunen Augen sah er etwas von der furchtlosen Buschpolizistin aus Alaska, die sie früher gewesen war.
„Renata“, sagte Tess. „Hilfst du mir mal, Jenna zu bewegen, damit
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