08 - Im Angesicht des Feindes
etwas liegt, nicht wahr?«
St. James drehte sich um. An der Tür stand Eve Bowen, hinter ihr ihr Mann, eine Hand an ihrem Ellbogen.
»Aber dem ist nicht so. Er hat sie nie gesehen. Man sollte meinen, daß er in den zehn Jahren ihres Lebens einmal versucht hätte, Verbindung aufzunehmen. Er hat es nie getan. Ich hätte es allerdings auch nie zugelassen.«
»Vielleicht wußte er das.«
»Vielleicht.« Sie trat ins Zimmer. Sie setzte sich in denselben Sessel, den sie am Mittwochabend gewählt hatte. Im Licht der Stehlampe wirkte ihr Gesicht so ruhig und gefaßt wie an jenem Abend. »Er ist ein glänzender Schauspieler, Mr. St. James. Ich weiß das besser als jeder andere. Er wird Ihnen einreden wollen, ich sei verbittert über unsere damalige Affäre und wie sich die Sache entwickelt hat. Er wird Ihnen vormachen wollen, mein Verhalten sei eine Reaktion auf meine eigene Schwäche, die mich damals zum Opfer seines unwiderstehlichen Charmes gemacht hat. Und während Ihre Aufmerksamkeit auf mich und meine Weigerung, Dennis Luxford auch nur einen Funken menschliche Anständigkeit zuzubilligen, gerichtet ist, zieht er im Hintergrund geschickt die Fäden und spielt mit unseren Ängsten.« Sie legte ihren Kopf an die Sessellehne und schloß die Augen. »Die Sache mit dem Tonband war ein cleverer Schachzug. Ich hätte ihm vielleicht selbst geglaubt, wüßte ich nicht, daß ihm jedes Mittel recht ist.«
»Es war die Stimme Ihrer Tochter.«
»O ja. Es war Charlotte.«
St. James ging zum Sofa. Sein krankes Bein hing wie ein Bleigewicht an ihm, sein Rücken schmerzte von der nachmittäglichen Kletterpartie. Jetzt fehlte nur noch eine Migräne. Es mußte eine Entscheidung getroffen werden, und gerade das Widerstreben, das er bei jeder körperlichen Bewegung verspürte, sagte ihm, wie dringend notwendig es war, sie zu treffen.
Er sagte: »Ich werde Ihnen berichten, was ich bis jetzt weiß.«
»Und danach überlassen Sie alles weitere uns«, gab sie zurück.
»Ja. Ich kann diese Untersuchung nicht mit gutem Gewissen weiterführen.«
»Sie glauben ihm also.«
»Ja, Mrs. Bowen. Er ist mir nicht besonders sympathisch. Mir gefällt nicht, wofür er steht. Ich finde, seine Zeitung sollte vom Erdboden verschwinden. Aber ich glaube ihm.«
»Warum?«
»Weil er, wie er sagte, seine Geschichte schon vor zehn Jahren hätte erzählen können. Er hätte damit herausrücken können, als Sie das erstemal fürs Parlament kandidierten. Er hat keinen Grund, die Geschichte gerade jetzt an die Öffentlichkeit zu bringen. Außer um Ihre Tochter zu retten. Seine Tochter.«
»Das Kind, das er gezeugt hat, Mr. St. James. Nicht seine Tochter. Charlotte ist Alex' Tochter.« Sie öffnete die Augen und drehte den Kopf, ohne ihn von der Lehne zu heben. »Sie haben nicht viel Ahnung von Politik, nicht wahr?«
»Auf Ihrer Ebene? Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Nun, hier geht es um Politik, Mr. St. James. Wie ich von Anfang an gesagt habe, es geht hier einzig und allein um Politik.«
»Das glaube ich nicht.«
»Ich weiß. Darum stecken wir ja fest.« Sie machte eine müde Handbewegung. »Gut, sagen Sie uns, was es noch zu sagen gibt. Und dann gehen Sie. Wir werden entscheiden, was zu tun ist, und Sie haben Ihre Hände in Unschuld gewaschen.«
Alex Stone setzte sich in den Sessel beim Kamin, seiner Frau gegenüber. Er kauerte auf seiner Kante, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf gesenkt, den Blick niedergeschlagen.
Aus der Verantwortung entlassen, die er von Anfang an nicht hatte übernehmen wollen, fühlte sich St. James durchaus nicht befreit. Im Gegenteil, die Last, die er trug, wog noch schwerer. Er versuchte, sich nicht davon beeindrucken zu lassen. Er habe hier keine Verpflichtungen, sagte er sich, und dennoch litt er an der Anstrengung, sie abzuschütteln.
»Ich war in der Shenkling-Schule, wie wir besprochen hatten«, begann er. »Ich habe mit einer Reihe von Mädchen zwischen acht und zehn Jahren gesprochen. Die Kleine, die wir suchen, war nicht unter ihnen. Ich habe eine Liste der Kinder, die heute gefehlt haben, falls Sie sie anrufen möchten.«
»Worum geht es hier eigentlich?« fragte Stone.
»Um eine Freundin von Charlotte«, erklärte seine Frau, als St. James ihr die Liste reichte.
»Charlottes Musiklehrer«, erklärte St. James.
»Chambers«, sagte Stone.
»Ja, Damien Chambers. Er erzählte uns, daß Charlotte im allgemeinen in Begleitung eines anderen kleinen Mädchens zu ihrer Musikstunde am Mittwoch kommt.
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