08 - Im Angesicht des Feindes
Dieses Mädchen war offenbar auch am letzten Mittwoch dabei. Wir haben versucht, sie ausfindig zu machen, weil wir hofften, sie würde uns etwas darüber sagen können, was an dem Nachmittag geschehen ist. Bisher ist es uns leider nicht gelungen, sie zu finden.«
»Aber die Beschreibung des Stadtstreichers«, sagte Eve Bowen. »Das ist doch ein Hinweis.«
»Ja. Und wenn Sie das kleine Mädchen ausfindig machen können und sie die Beschreibung bestätigt, vielleicht auch noch bestätigt, daß der Mann zu der Zeit, als Charlotte zur Musikstunde ging, in der Gegend war, dann hätten Sie etwas Brauchbares für die Polizei.«
»Woher kann Charlotte sie kennen?« fragte Eve Bowen.
»Wenn nicht aus der Schule?«
»Nun, es gibt ja außer der St. Bernadette und der Shenkling noch andere Schulen in Marylebone. Aber sie könnte sie auch in der Tanzstunde kennengelernt haben. Es kann ein Kind aus der Nachbarschaft sein. Ein Kind, das zur selben Psychotherapeutin geht. Irgendwo muß die Kleine ja sein.«
Eve Bowen nickte. Nachdenklich legte sie die Finger an die Schläfen. »Ich habe vorher nicht darüber nachgedacht, aber der Name ... Sind Sie sicher, daß es sich um ein Mädchen handelt?«
»Der Name ist ungewöhnlich, ja, aber jeder, mit dem ich gesprochen habe, sagte mir, es sei ein kleines Mädchen.«
Alexander Stone hob den Kopf. »Ein ungewöhnlicher Name. Wer ist das? Wieso wissen wir nichts von dem Kind?«
»Mrs. Maguire kennt die Kleine. Oder weiß jedenfalls von ihr. Genau wie Chambers und mindestens eine von Charlottes Schulkameradinnen. Sie trifft sie scheinbar so oft, wie es nur irgend geht.«
»Wer ist sie?«
»Sie heißt Breta«, sagte Eve Bowen zu ihrem Mann.
»Kennst du sie, Alex?«
»Breta?« Alexander Stone stand plötzlich auf. Er ging zum Kamin und nahm vom Sims eine Fotografie, die ein kleines Kind auf einer Schaukel zeigte. Er selbst stand hinter der Schaukel und lachte in die Kamera. »Mein Gott«, sagte er.
»Was?« fragte Eve Bowen.
»Und Sie haben die letzten zwei Tage damit zugebracht, nach Breta zu suchen?« fragte er St. James müde.
»Zum großen Teil, ja. Bis wir von dem Stadtstr eicher hörten, war das unsere einzige Spur.«
»Dann kann ich nur hoffen, daß Ihre Informationen über den Penner stichhaltiger sind als die über Breta.« Stone stieß ein Lachen aus, das verzweifelt klang. Er legte die Fotografie mit dem Bild nach unten auf den Kaminsims. »Glänzend.« Er warf einen Blick auf seine Frau und sah wieder weg. »Wo warst du eigentlich die ganze Zeit, Eve? Wo zum Teufel bist du gewesen? Lebst du in diesem Haus, oder bist du hier nur zu Gast?«
»Was redest du da?«
»Ich rede von Charlie. Ich rede von Breta. Ich rede davon, daß deine Tochter - meine Tochter, unsere Tochter, Eve - nicht eine einzige Freundin hat und du das nicht einmal weißt.«
St. James wurde eiskalt bei Stones Worten und dem, was sie bedeuten mußten. Eve Bowens Maske kühler Gelassenheit hatte, wie er bemerkte, endlich einen kleinen Riß bekommen.
»Was sagst du da?« fragte sie scharf.
»Die Wahrheit«, erwiderte Stone. Er lachte wieder, aber diesmal wurde das Lachen schrill und bekam einen hysterischen Klang. »Breta ist niemand, Eve. Sie ist niemand.
Niemand. Breta gibt es nicht. Du hast deinen Privatdetektiv die letzten zwei Tage auf der Suche nach Charlies imaginärer Freundin durch Marylebone jagen lassen.«
12
»Breta«, flüsterte Charlotte. »Meine beste Freundin. Breta.«
Aber ihre Lippen waren wie verklebt, und ihr Mund fühlte sich an, als wäre er voller trockener Brotbrösel. Sie wußte, daß Breta sie nicht hören und ihr nicht antworten konnte.
Alles tat ihr weh. Ihr ganzer Körper, an jeder Stelle. Sie hatte keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen war, seit sie das Band für Cito aufgenommen hatte, aber es schien ihr Tage und Monate und Jahre her zu sein. Ewig.
Sie war hungrig und durstig. Sie hatte ein Gefühl, als stünde hinter ihren Augen eine dicke Wolke, die gegen ihre Lider drückte und ihren ganzen Kopf ausfüllte. Sie konnte sich nicht erinnern, je so müde gewesen zu sein, und wenn sie nicht so schlapp gewesen wäre, wenn ihr Arme und Beine nicht so schwer gewesen wären, hätte sie vielleicht die Energie gehabt, darüber wütend zu sein, daß ihr der Bauch weh tat, weil es so lange her war, daß sie die Fleischpastete und den Apfelsaft bekommen hatte. Aber sie konnte beides noch schmecken, wenn sie mit der Zunge über ihren Gaumen streifte.
Ein krampfartiger
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