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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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versprach.
    Charlotte. Mein Gott, dachte Luxford, ich habe sie nie gesehen. Er hatte die Propagandafotos gesehen, als Evelyn sich um einen Sitz im Parlament beworben hatte, die Kandidatin zu Hause im Kreis ihrer hingebungsvoll lächelnden Familie. Aber das war alles gewesen. Und selbst diesen Bildern hatte er nicht mehr als den kurzen, verächtlichen Blick gegönnt, mit dem er das eitle Posieren der Parteikandidaten vor Parlamentswahlen abzutun pflegte. Er hatte sich das Kind nicht richtig angesehen. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, es eingehend zu betrachten. Charlotte war seine Tochter, und er wußte nicht mehr von ihr als ihren Namen. Und jetzt - daß sie tot war.
    Er hatte Evelyn am Sonntagabend angerufen. Als sie sich meldete, hatte er nur gesagt: »Die Fernsehnachrichten. Evelyn, man hat ein totes Kind gefunden.«
    »Mein Gott!« hatte sie gerufen. »Du Ungeheuer. Dir ist wirklich jedes Mittel recht, um mich kleinzukriegen, oder?«
    »Nein! Hör mir doch mal zu. Es ist in Wiltshire. Ein kleines Mädchen. Sie ist tot. Man weiß nicht, wer sie ist. Die Polizei bittet um Auskünfte. Evelyn. Evelyn!« Sie hatte aufgelegt. Seitdem hatte er sie nicht mehr gesprochen.
    Ein Teil von ihm sagte, sie verdiene es, vernichtet zu werden. Sie verdiene es, öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Sie verdiene es zu erleben, daß jede Einzelheit über Charlottes Zeugung, ihr Leben, ihr Verschwinden und ihren Tod vor der Öffentlichkeit ausgebreitet wurde, damit ihre Landsleute über sie zu Gericht sitzen konnten. Und sie verdiente es, deswegen zu stürzen und ihre Machtposition zu verlieren. Aber ein anderer Teil von ihm wollte keinen Anteil haben an ihrem Sturz. Weil er glauben wollte, daß sie für ihre Sünden, welcher Art auch immer sie sein mochten, mit dem Tod ihres Kindes bezahlt hatte.
    Er hatte sie in diesen wenigen Tagen in Blackpool nicht geliebt, so wenig, wie sie ihn geliebt hatte. Ihre gemeinsame Erfahrung war nicht mehr gewesen als die Begegnung zweier Körper, deren sinnliche Begierde aufgepeitscht worden war von der Gegensätzlichkeit ihrer Charaktere. Sie hatten nichts gemeinsam außer der Fähigkeit, ihren persönlichen Standpunkt kämpferisch zu vertreten, und dem Streben, aus jedem Wortgefecht als Sieger hervorzugehen. Sie war schlagfertig und selbstbewußt. Er hatte sie mit all seiner Wortgewalt nicht im geringsten einschüchtern können. Ihre Dispute endeten im allgemeinen unentschieden, aber er war es gewohnt, jeden Gegner niederzuringen, und als es ihm nicht gelungen war, sie mit Worten zu besiegen, halte er nach anderen Mitteln gesucht. Er war jung und dumm genug gewesen, noch zu glauben, die Unterwerfung einer Frau im Bett sei ein Beweis männlicher Überlegenheit. Als er mit ihr fertig war, heiß vor Stolz darüber, wie er es ihr gezeigt hatte, erwartete er von ihr glänzende Augen, ein träumerisches Lächeln und danach den weiblich-bescheidenen Rückzug in den Hintergrund, um ihm unter den gemeinsamen Kollegen das Feld zu überlassen.
    Aber es war ihr nicht eingefallen, sich nach der Verführung in den Hintergrund zurückzuziehen; sie hatte getan, als wäre nichts zwischen ihnen geschehen, und ihr Verstand war schärfer denn je gewesen. Das hatte ihn zunächst wütend gemacht, und dann hatte es seine Begierde noch mehr angeheizt. Wenigstens im Bett, hatte er geglaubt, würde es zwischen ihnen weder Symmetrie noch Gleichheit geben. Wenigstens im Bett, hatte er geglaubt, würde immer er der Eroberer sein. Männer herrschten, Frauen unterwarfen sich, das hatte er geglaubt.
    Aber nicht Evelyn. Nichts, was er tat, und nichts, was sie, wie er hätte schwören können, fühlte, konnte ihr die Herrschaft über sich selbst rauben. Auch das Bett war für beide nur ein Kampfplatz gewesen, auf dem statt Worte die Lust ihre Waffe war. Das Schlimmste war, daß sie die ganze Zeit wußte, was er ihr anzutun versuchte. Und beim letztenmal, an jenem letzten Morgen, ehe sie beide zu ihren Zügen und zu neuen Terminen eilten, hatte sie sein Gesicht zu ihrem angehoben und gesagt:
    »Ich bin nicht geschwächt, Dennis. In keiner Weise. Auch nicht durch das hier.«
    Das Wissen, daß aus dieser Kopulation ohne Liebe ein unschuldiges Leben hervorgegangen war, beschämte ihn zutiefst. So gleichgültig waren ihm die möglichen Folgen seines Bestrebens, sie auf die einzige ihm zur Verfügung stehende Weise in die Knie zu zwingen, gewesen, daß er überhaupt nicht daran gedacht hatte, irgendeine Vorsichtsmaßnahme

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