08 - Im Angesicht des Feindes
hinunter zum Unterleib führte, die Hände feucht geworden. Sie wußte sofort, daß sie in Schwierigkeiten war.
Charlotte Bowens Körper, der lang ausgestreckt auf dem Tisch aus rostfreiem Stahl lag, war, abgesehen von einigen kleinen Blutergüssen rund um den Mund, einigen rötlichen Verbrennungsmalen auf Wangen und Kinn und einer verkrusteten Schramme an einem Knie praktisch unversehrt gewesen. Das kleine Mädchen sah nicht aus, als wäre sie tot, eher als schliefe sie. Es erschien wie eine grausame Schändung ihrer Unschuld, in die schimmernde Haut ihrer Brust zu schneiden. Der Pathologe tat es dennoch und sprach dazu in leiernder Tonlosigkeit seine Befunde in ein Mikrofon, das über seinem Kopf hing. Er knipste ihre Rippen ab wie die zarten Zweige eines jungen Bäumchens und entnahm ihre Organe zur Untersuchung. Als er die Urinblase herausgenommen und den Inhalt zur Analyse hatte wegbringen lassen, wußte Barbara schon, daß sie das, was noch folgen würde, nicht bis zum Ende durchstehen würde: den Schnitt durch die Kopfhaut des Kindes, das Abheben ihres Fleisches zur Entblößung des kleinen Schädels, das schrille Summen der Säge, die den Knochen durchtrennte, um Zugang zu ihrem Gehirn zu schaffen.
Ist das alles denn nötig? hätte sie am liebsten protestiert. Verdammt noch mal, wir wissen doch, woran sie gestorben ist.
Aber sie wußten es eben nicht. Jedenfalls nicht genau. Sie konnten aufgrund des Zustands des Leichnams und des Fundorts Mutmaßungen anstellen, aber die genauen Antworten, die sie brauchten, konnte ihnen nur diese wissenschaftliche Verstümmelung liefern.
Barbara wußte, daß Detective Sergeant Reg Stanley sie beobachtete. Von seinem Standort aus, gleich bei der Waage, auf der jedes Organ einzeln gewogen wurde, verfolgte der Mann mit Argusaugen jede Regung ihres Gesichts. Er wartete nur darauf, daß sie mit vorgehaltener Hand aus dem Raum stürzen würde. Wenn sie das tat, würde er sie mit einem verächtlichen »Typisch Frau« abtun können. Barbara wollte ihm keine Gelegenheit geben, sie vor den Männern, mit denen sie hier in Wiltshire zusammenarbeiten mußte, lächerlich zu machen, aber ihr war klar, daß es letztlich auf eine Wahl hinauslaufen würde: Sie konnte die Blamage riskieren, sich hier im Raum zu übergeben, oder sie konnte sich davonmachen und hoffen, eine Toilette zu finden, ehe sie sich draußen im Korridor übergab.
Während sie krampfhaft überlegte, was sie tun sollte, ihr Magen immer heftiger rebellierte, ihre Kehle sich immer enger zusammenzog und der Raum um sie herum zu schwanken begann, fiel ihr ein, daß es noch eine andere Möglichkeit gab.
Sie sah demonstrativ auf ihre Uhr, tat so, als hätte sie etwas Wichtiges vergessen, betonte das noch, indem sie knisternd in ihrem Heft blätterte, und teilte Stanley ihre Absicht mit, indem sie mit einer Hand am Ohr ein Telefonat mimte und lautlos sagte: »Muß London anrufen.« Der Sergeant nickte, doch sein sarkastisches Lächeln verriet ihr, daß er keineswegs überzeugt war. Ach, geh doch zum Teufel, dachte sie.
Und nun stand sie in der Damentoilette und spülte sich den Mund aus. Ihre Kehle brannte. Sie hielt beide Hände unter das laufende Wasser und trank gierig. Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht und trocknete es an dem dünnen blauen Handtuch, das unsteril von der Rolle eines Automaten lief. Dann lehnte sie sich an die graue Wand neben dem Automaten.
Sie fühlte sich nicht viel besser. Ihr Magen war leer, aber ihr Herz war übervoll. Konzentrier dich auf die Fakten, sagte ihr Verstand. Und ihr Herz entgegnete: Sie war doch noch ein Kind!
Sie ließ sich an der Wand zum Boden hinuntergleiten und legte ihren Kopf auf ihre Knie. Sie wartete darauf, daß ihr Magen sich beruhigen und die Kälteschauer aufhören würden.
Das Kind war noch so klein gewesen. Einen Meter siebenundvierzig groß, weniger als vierzig Kilo schwer. Mit Handgelenken, die so schmal waren, daß es den Anschein hatte, ein Erwachsener könne sie mit einem Finger umspannen. Mit Gliedern, deren Konturen von vogelzarten Knochen gebildet waren, nicht von Muskulatur. Mit mageren, abfallenden Schultern und der rührenden Nacktheit einer unentwickelten Scham.
So leicht zu töten.
Aber wie? Ihr Körper trug keine Spuren eines Kampfes, keinen Hinweis auf irgendwelche Verletzungen. Er strömte keinen verräterischen Geruch nach Mandeln, Knoblauch oder Immergrün aus. Er zeigte keine Zyanose des Gesichts, der Lippen, der Ohren.
Barbara schob ihren Arm
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