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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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sagte, würde es sie vernichten.
    »Dennis«, drängte sie. »Sag es mir.«
    Er begann mit dem wenigen, was Eve Bowen zu dem Bericht in der Zeitung hatte beitragen können, er fuhr fort mit Lynleys Interpretation der Worte »Ihr erstgeborenes Kind« und schloß mit einer Zusammenfassung dessen, was ihn unablässig beschäftigt hatte, seit er von New Scotland Yard weggefahren war.
    »Fiona«, sagte er, »ich kenne dieses dritte Kind nicht. Ich habe bis heute nichts von seiner Existenz gewußt. Gott ist mein Zeuge, ich weiß nicht, wer das Kind ist.«
    Sie schien wie betäubt. »Aber wie ist das möglich, daß du nicht weißt ...?« Sie wandte sich von ihm ab, als ihr klarwurde, was dieses Nichtwissen bedeutete. »Waren es denn so viele, Dennis?«
    Luxford versuchte, ihr zu erklären, was für ein Mensch er gewesen war, bevor er sie kennengelernt hatte, was ihn getrieben hatte, welche Dämonen ihm im Nacken gesessen hatten.
    »Bevor ich dich gekannt habe, Fiona, war Sex für mich einfach etwas, was man tut.«
    »Wie morgens Zähneputzen?«
    »Es war etwas, was ich gebraucht hatte, womit ich mir beweisen wollte ... « Er machte eine ziellose Handbewegung. »Ich weiß selbst nicht genau, was eigentlich.«
    »Nein? Weißt du es wirklich nicht? Oder willst du es nur nicht sagen?«
    »Also gut«, sagte er. »Männlichkeit. Daß ich auf Frauen anziehend wirke. Weißt du, ich hatte immer Angst, wenn ich mir nicht dauernd beweisen würde, wie unglaublich attraktiv ich auf Frauen wirke ...« Er wandte wie sie den Kopf zu Leos Schreibtisch, betrachtete die Zeichnungen mit ihrer Zartheit, ihrer Einfühlsamkeit und Innigkeit. Sie verkörperten die Furcht, der ins Auge zu sehen er sein Leben lang vermieden hatte. Schließlich war es seine Frau, die es aussprach.
    »Daß du dich dann damit auseinandersetzen müßtest, wieso du so unglaublich attraktiv auf Männer wirkst.«
    »Ja«, bestätigte er. »Das war es. Ich dachte, irgendwas an mir könnte nicht stimmen. Ich dachte, ich strahlte irgendwas aus: eine Aura, ein Fluidum, eine stillschweigende Einladung ...«
    »Wie Leo.«
    »Wie Leo.«
    Sie beugte sich vor und nahm das Bild des kleinen Jungen, das ihr Sohn gezeichnet hatte. Sie hielt es hoch, so daß das Licht darauf fiel. »So fühlt sich Leo«, sagte sie.
    »Wir holen ihn zurück. Ich schreibe die Story. Ich lege ein Bekenntnis ab. Ich nenne jede Frau, die ich je gekannt habe, und bitte die eine, sich zu melden, wenn -«
    »Ich meine nicht, daß Leo sich jetzt so fühlt, Dennis. So fühlt sich Leo ständig.«
    Luxford nahm ihr das Bild aus der Hand. Als er es sich näher anschaute, konnte er sehen, daß der Junge Leo sein sollte. Das helle Haar gab ihn ebenso zu erkennen wie die allzulangen Beine und die zarten Fußgelenke, die sichtbar waren, weil er aus der Hose herausgewachsen war und die Socken heruntergerutscht waren. Und auch die Armesünderhaltung kannte er - er hatte sie erst in der letzten Woche in dem Restaurant am Pond Square gesehen. Eine genauere Betrachtung des Bildes zeigte ihm, daß ursprünglich noch eine zweite Gestalt abgebildet gewesen war. Obwohl sie ausradiert war, konnte man die Umrisse noch erkennen. Die Linien waren deutlich genug für Luxford, um die gemusterten Hosenträger, das gestärkte Hemd und den Strich einer Narbe quer über dem Kinn auszumachen. Die Gestalt war sehr groß - übermenschlich in ihrer Größe - und überschattete das Kind wie eine Manifestation kommenden Unheils.
    Luxford knüllte das Blatt zusammen. Er fühlte sich wie geprügelt. »Gott verzeih mir. Bin ich denn so hart gegen ihn?«
    »So hart wie gegen dich selbst.«
    Er dachte an seinen Sohn: wie wachsam dieser stets in Gegenwart seines Vaters war, wie sorgsam darauf bedacht, nur ja nichts falsch zu machen. Er erinnerte sich, wie der Junge seinem Vater zuliebe immer wieder versucht hatte, sich einen forscheren Gang anzugewöhnen, seiner Stimme einen rauheren Klang zu geben, Worte zu vermeiden, die ihn als Muttersöhnchen hätten abstempeln können. Doch der wahre Leo schimmerte stets durch das Image hindurch, an dem er so hart arbeitete: sensibel, schnell den Tränen nahe, offen, liebevoll und kreativ.
    Zum erstenmal, seit er als Schuljunge erkannt hatte, wie wichtig es war, Gefühle zu verbergen und keine Schwäche zu zeigen, verspürte Luxford einen tiefen Schmerz, der ihn zu überwältigen drohte. Aber er weinte keine Träne.
    »Ich wollte, daß ein Mann aus ihm wird«, sagte er.
    »Das weiß ich, Dennis«, antwortete

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