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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Aber dann ist Charlie verschwunden, und ich war gezwungen, unser Leben einmal richtig anzuschauen. Und je länger ich hineingesehen habe, desto widerlicher ist mir unser Leben vorgekommen.«
    Eve erstarrte. Die Distanz zwischen ihnen wurde eisig. »Was genau hast du denn erwartet, wie unser Leben nach Charlottes Entführung aussehen würde?« fragte sie. »Nach ihrer Ermordung? Nachdem ihre Geburt und ihr Tod ausgeschlachtet wurden, um die Sensationslust der Leute zu erregen?«
    »Ich habe erwartet, daß du anders sein würdest. Aber ich habe zuviel erwartet.«
    »Ach ja? Und was hast du denn von mir erwartet, Alex? Daß ich im härenen Hemd herumlaufe? Mir Asche aufs Haupt streue? Meine Kleider zerfetze? Mir der Kopf kahlschere? Oder dem Schmerz auf irgendeine andere rituelle Weise, die deinen Beifall gefunden hätte, Ausdruck gebe? Hast du so etwas erwartet?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich habe erwartet, daß du dich wie eine Mutter verhalten würdest«, antwortete er. »Aber ich habe erkannt, daß du in Wirklichkeit nur eine Frau bist, die aus Versehen ein Kind zur Welt gebracht hat.«
    Sie spürte, wie heiße Wut sie packte. »Wie kannst du es wagen -«
    »Was Charlie zugestoßen ist -« Er brach ab. Die Ränder seiner Augen wurden rot. Mit einem heftigen Räuspern zwang er sich weiterzusprechen. »Was Charlie zugestoßen ist, hat dich nur insoweit interessiert, als es dich berührte. Selbst jetzt, wo sie tot ist, geht es dir einzig um dich. Auch als Luxford diesen Artikel in seiner Zeitung veröffentlicht hat, ging es dir nur um dich. Und auch jetzt - in bezug auf mich, auf meine Entscheidung, auf das, was ich getan habe - geht es dir einzig und allein um dich. Für dich ist das nichts weiter als ein neuerlicher Schlag ins Gesicht deines politischen Ehrgeizes, eine weitere persönliche Schmach, die du vor der Presse irgendwie wegerklären mußt. Du lebst in einer Welt, in der der Schein immer wichtiger war als das Sein. Ich war nur zu dumm, das zu merken. Bis Charlie ermordet wurde.« Er griff nach dem Türknauf.
    Sie rief: »Alex, wenn du jetzt gehst ...« Aber sie wußte nicht, wie sie die Drohung vollenden sollte.
    Er drehte sich herum. »Du wirst sicher einen passenden Euphemismus finden, um der Presse zu erklären, was zwischen uns vorgefallen ist. Nenn es, wie du willst. Es ist mir völlig gleichgültig. Hauptsache, du weißt, daß es vorbei ist.«
    Er zog die Tür auf. Die Geräusche aus der Restaurantküche brandeten hinter ihm auf. Er machte Anstalten zu gehen, aber dann zögerte er noch einmal und sah zu ihr zurück. Sie glaubte, er werde etwas über ihre gemeinsame Geschichte sagen, über ihr gemeinsames Leben, über die Zukunft, in der es keine Gemeinschaft zwischen ihnen mehr geben würde. Doch er sagte etwas ganz anderes. »Ich glaube, das schlimmste war, daß ich mir immer gewünscht habe, du wärst fähig zu lieben, und aus diesem Wunsch heraus geglaubt habe, es wäre so.«
    »Wirst du mit der Presse sprechen?« fragte sie ihn.
    Sein Lächeln war kalt. »Mein Gott, Eve«, sagte er. »Mein Gott.«

28
    Luxford fand sie in Leos Zimmer. Sie war dabei, seine Zeichnungen durchzusehen und sie nach Themen in dünnen Stapeln zu ordnen. Hier waren seine gewissenhaften Kopien von Giottos Engeln, Madonnen und Heiligen. Dort waren mit schnellem Strich hingeworfene Skizzen anmutiger Ballerinen und flotter Tänzer mit Zylindern. Daneben lag ein Häufchen Tierzeichnungen, vornehmlich von Eichhörnchen und Haselmäusen. Und ganz allein, in der Mitte des Schreibtischs, lag eine Zeichnung eines kleinen Jungen, der wie ein armer Sünder auf einem dreibeinigen Hocker hinter dem Gitter einer Gefängniszelle hockte. Sie sah aus wie die Kopie einer Kinderbuchillustration, und Luxford überlegte, ob Leo sie aus Dickens abgezeichnet hatte.
    Fiona war in die Betrachtung dieser letzten Zeichnung vertieft. Sie hielt einen von Leos karierten Schlafanzügen an ihre Wange gedrückt und wiegte sich sachte, kaum wahrnehmbar, auf dem Stuhl hin und her, Luxford konnte sich nicht vorstellen, wie sie diesen neuen Schlag ertragen sollte, den er ihr würde versetzen müssen. Die ganze Fahrt von Westminster nach Highgate hatte er mit seiner Vergangenheit und seinem Gewissen gerungen. Aber es war ihm nicht gelungen, Worte zu finden, die das, was der Kidnapper jetzt von ihm verlangte, abmildern konnten. Zumal das Grauenvolle daran war, daß er die Auskunft, die von ihm gefordert wurde, gar nicht geben konnte. Wie sollte er seiner Frau

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