08 - Im Angesicht des Feindes
sollten Sie sich! -, einer anderen Frau den Mann wegzunehmen.«
Der lange Satz hatte sie völlig erschöpft. Sie sank über dem Tisch zusammen. Sie schnaufte, als bekäme sie nur noch durch ein Nadelöhr Luft. Sie krallte die Finger in den Stoff, den sie zugeschnitten hatte, und riß ihn mit sich zu Boden, als sie zusammenbrach.
»Ach, verdammt!« Barbara sprang vorwärts. »Mrs. Payne!« schrie sie. »Mrs. Payne!« Sie packte Corrine und drehte sie auf den Rücken.
Corrines Gesicht, das eben noch hochrot gewesen war, war jetzt kreideweiß. Ihre Lippen schimmerten bläulich. »Luft«, keuchte sie. »Atem ...«
Barbara ließ sie ohne große Umstände wieder auf den Boden sinken. Sie sprang auf und begann zu suchen. »Der Inhalator! Mrs. Payne, wo ist Ihr Inhalator?«
Corrine wies mit einer Hand schwach zur Treppe.
»Oben? In Ihrem Zimmer? Im Bad? Wo ist er?«
»Luft ... bitte ... Treppe ...«
Barbara raste die Treppe hinauf. Sie rannte ins Badezimmer. Sie riß das Apothekerschränkchen auf. Sie fegte ein halbes Dutzend Medikamente zu Boden. Sie schleuderte Zahnpasta, Mundwasser, Heftpflaster, Zahnseide, Rasiercreme hinaus. Der Inhalator war nicht da.
Als nächstes versuchte sie ihr Glück in Corrines Zimmer. Sie riß die Schubladen der Kommode auf und warf alles hinaus, was darin war. Sie leerte den Nachttisch aus. Sie sah auf den Bücherregalen nach. Sie ging zum Schrank. Nichts.
Sie stürzte wieder in den Korridor. Sie konnte die qualvollen Atemzüge der Frau hören. Sie schienen langsamer zu werden. Sie schrie: »Scheiße! Scheiße!« und stürzte sich auf einen Schrank, riß die Türen auf und begann alles, was darin war, auf den Boden zu feuern: Bettlaken, Handtücher, Kerzen, Brettspiele, Decken, Fotoalben. Sie hatte den Schrank innerhalb von zwanzig Sekunden geleert. Ohne Erfolg.
Aber sie hatte doch »Treppe« gesagt? Hatte sie nicht »Treppe« gesagt? Hatte sie nicht gemeint ...?
Barbara rannte die Treppe wieder hinunter. An ihrem Fuß stand ein halbmondförmiges Tischchen. Und dort zwischen der Post, einer Topfpflanze und zwei Nippesfiguren lag der Inhalator. Barbara packte ihn und rannte ins Eßzimmer zurück. Sie schob ihn der Frau in den Mund und pumpte wie eine Wilde. »Komm schon«, sagte sie. »O Gott, nun komm schon.«
Und wartete darauf, daß das Wunderding seine Wirkung tun würde.
Zehn Sekunden vergingen. Zwanzig. Endlich wurde Corrines Atem leichter. Sie atmete mit Hilfe des Inhalators weiter. Barbara hielt sie fest, aus Angst, sie könnte ihr sonst noch sterben.
Und so traf Robin Payne die beiden Frauen an, als er knapp fünf Minuten später nach Hause kam.
Lynley nahm sein Abendessen, das er sich aus der Kantine geholt hatte, an seinem Schreibtisch ein. Er hatte dreimal versucht, Barbara Havers zu erreichen - zweimal bei der Kriminalpolizei in Amesford und einmal in Lark's Haven, wo er ihr eine Nachricht bei einer Frau hinterlassen hatte, deren höflich eisiger Ton, als sie sagte: »Sie können sich darauf verlassen, Inspector, ich werde dafür sorgen, daß sie Ihre Nachricht bekommt«, vermuten ließ, daß Barbara von ihr weit mehr zu hören bekommen würde als seine Bitte, sie möge sich mit ihrem Tagesbericht über den Fortgang der Untersuchung in Wiltshire in London melden.
Er hatte auch St. James angerufen, hatte aber nur Deborah erreicht, die ihm sagte, Simon sei nicht zu Hause gewesen, als sie vor einer halben Stunde von der St.-Botolph's-Kirche, wo sie den ganzen Tag fotografiert hatte, heimgekehrt war. Sie sagte: »Wenn man die Obdachlosen dort sieht ... Das rückt alles wieder in die richtige Perspektive, nicht, Tommy?«
Er nutzte den Moment, um zu erwidern: »Wegen Montag nachmittag, Deb. Ich kann mich nur damit entschuldigen, daß ich mich wie ein Flegel benommen habe. Nein, ich war ein Flegel. Diese Bemerkung über das Töten von Kindern war unverzeihlich. Es tut mir unglaublich leid.« Worauf sie nach einer nachdenklichen Pause, wie sie so ganz ihre Art war, antwortete: »Mir tut es auch leid. Ich bin da eben sehr empfindlich, wenn es um Kinder geht. Du weißt schon.« Und er erwiderte: »Ja, ich weiß. Natürlich weiß ich das. Verzeihst du mir?« Und sie versicherte ihm: »Längst verziehen, Tommy. Seit Ewigkeiten«, obwohl keine achtundvierzig Stunden vergangen waren, seit die harten Worte zwischen ihnen gefallen waren.
Nach dem Gespräch mit Deborah hatte er mit Hilliers Sekretärin telefoniert, um ihr zu sagen, wann etwa der Assistant Commissioner seinen
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