08 - Im Angesicht des Feindes
Durst, und ich komm' nicht. Geben Sie mir was zu trinken.«
Er stellte etwas auf den Boden und schob es mit der Zehe ins Licht. Die hohe rote Thermosflasche. Begierig trat Lottie einen Schritt näher. »Genau«, sagte er. »Aber erst hinterher. Erst wenn du deinem Dad bei seiner Geschichte geholfen hast.«
»Ihnen helf ich überhaupt nicht. Nie!«
»Nein?« Er knisterte mit einer Papiertüte, die irgendwo jenseits des Lichtes war. »Fleischpastete«, sagte er. »Kalter Apfelsaft und warme Fleischpastete.«
Plötzlich war das pelzige Gefühl in ihrem Mund wieder da. Es reichte bis in die Kehle, und ihr Magen war leer. Sie hatte es vorher gar nicht gemerkt. Aber als er die Fleischpastete erwähnte, bekam sie ein ganz hohles Gefühl im Magen.
Lottie wußte, sie hätte ihm den Rücken kehren und ihn wegschicken sollen, und wenn sie nicht so durstig gewesen wäre, wenn ihr Magen nicht zu knurren begonnen hätte, wenn sie nicht die Pastete gerochen hätte, dann hätte sie das bestimmt getan. Sie hätte ihm ins Gesicht gelacht. Sie hätte mit dem Fuß aufgestampft. Sie hätte geschrien und gebrüllt. Aber der Apfelsaft. Kühl und süß, und danach die Pastete ...
Sie ging auf ihn zu, trat ins Licht. Na schön. Sie würde es ihm zeigen. Sie hatte keine Angst. »Was soll ich tun?« fragte sie.
Er lachte leise. »Ist das nicht nett?« sagte er.
8
Es war nach zehn Uhr morgens, als Alexander Stone sich zur Kante des breiten französischen Bettes wälzte und auf seinen Wecker sah. Ungläubig starrte er die roten Ziffern an und sagte laut: »Verdammt«, als ihm dämmerte, wie spät es war. Er war nicht aufgewacht, als Eves Wecker auf dem Nachttisch an der anderen Seite wie immer um fünf Uhr geläutet hatte. Daran war der Wodka schuld, fast zwei Drittel der Flasche, den er am vergangenen Abend zwischen neun und halb zwölf hinuntergekippt hatte.
Er hatte sich in die Küche gesetzt, um zu trinken, an den kleinen quadratischen Tisch in der Eßnische mit Blick in den Garten. Den ersten Schuß Wodka hatte er mit Orangensaft gemischt, aber danach hatte er den Alkohol pur getrunken. Seit vierundzwanzig Stunden wußte er »endlich die Wahrheit«, wie er es formulierte, und seit vierundzwanzig Stunden fragte er sich, ob die Wahrheit mit Charlies Verschwinden zu tun hatte, wie Eve so fest glaubte, und versuchte krampfhaft, nicht darüber nachzudenken, was das Handeln und die Reaktionen seiner Frau über diese Wahrheit aussagten. Er fühlte sich wie gelähmt. Er wollte etwas tun, aber er hatte keine Ahnung, was jetzt zu tun war. Zu viele Fragen quälten ihn. Es war niemand im Haus, der sie hätte beantworten können. Eve würde bis nach Mitternacht bei der Debatte im Unterhaus festgehalten werden. Er beschloß zu trinken. Sich zu betrinken. Es schien ihm in diesem Moment das einzige Mittel, um das Wissen auszulöschen, auf das er für den Rest seines Lebens gut hätte verzichten können.
Luxford, dachte er. Scheiß Dennis Luxford. Vor Mittwoch abend hatte er nicht einmal gewußt, wer der Kerl eigentlich war, aber seitdem beherrschten Luxford und sein Eindringen in ihr Leben seine Gedanken.
Er setzte sich vorsichtig auf. Sein Magen rebellierte bei dem Lagewechsel. Die Möbel im Schlafzimmer schienen in leichten Wellenbewegungen zu schwanken, zum Teil lag das an den Nachwirkungen des Rausches, zum Teil daran, daß er seine Kontaktlinsen noch nicht eingesetzt hatte.
Er griff nach seinem Morgenrock und stand auf. Er schluckte die aufsteigende Übelkeit hinunter und ging ins Badezimmer, wo er die Wasserhähne aufdrehte. Er sah sich im Spiegel an. Ohne Linsen sah er das Bild nur verschwommen, aber die hervorstechenden Einzelheiten waren deutlich genug: die blutunterlaufenen Augen, das graue Gesicht, die Haut, die sich dem Ruf der Schwerkraft ergeben zu haben schien, hervorgerufen durch zehn Stunden trunkener Bewußtlosigkeit. Ich seh' aus wie ein Haufen getrocknete Scheiße, dachte er.
Mit beiden Händen schüttete er sich kaltes Wasser ins Gesicht. Immer wieder. Er trocknete sich ab. Er setzte seine Linsen ein und griff nach seinem Rasierzeug. Er versuchte, die Übelkeit und die Kopfschmerzen zu ignorieren, indem er sich auf das Einseifen seines Gesichts konzentrierte.
Von unten drang ein undeutliches Geräusch herauf. Es klang ein wenig wie liturgischer Gesang, aber sehr gedämpft. Eve hatte Mrs. Maguire sicherlich angewiesen, den täglichen Geräuschpegel auf ein Minimum zu reduzieren. »Mr. Stone hat sich gestern abend nicht
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