08 - Im Angesicht des Feindes
Abweichung in ihrem Benehmen, die anderen nicht weiter auffiel, zu interpretieren verstehen würde.
Ja, ja. Das war die Lösung. Er griff nach seinem Terminkalender. In diesem Moment kam Sarah Happleshort herein.
»Ihr Auftritt, bitte«, sagte sie und schob sich einen Kaugummi in den Mund.
Er starrte sie verständnislos an, in Gedanken noch bei der Frage, welcher der Berichterstatter beim Parlament am ehesten auf seine Geschichte hereinfallen würde.
»Sie sind am Drücker, Rodney.« Sarah wies mit dem Daumen in Richtung von Luxfords Büro. »Dennis mußte weg. Ein Notfall. Sie sollen ihn vertreten. Sollen wir die Besprechung hier bei Ihnen machen? Oder wollen Sie sein Büro benutzen?«
Rodney blinzelte. Dann begriff er. Der Mantel der Macht senkte sich auf seine Schultern, und er nahm sich einen Moment Zeit, um seine Wärme zu genießen. Dann gab er sich alle Mühe, ein angemessen bestürztes Gesicht zu machen, und fragte: »Ein Notfall? Es ist doch nicht etwas mit der Familie? Seiner Frau oder seinem Sohn?«
»Keine Ahnung. Er ist mit dem Mann und der Frau gegangen, mit denen er gekommen ist. Wissen Sie, wer die beiden sind? - Nein? Hm.« Sie warf einen Blick in den Nachrichtenraum hinüber. Ihr Ton klang nachdenklich, als sie sagte: »Da ist doch was im Busch. Was meinen Sie?«
Happleshorts ewig witternde Spürnase konnte er jetzt zuallerletzt gebrauchen. »Ich meine, wir sollten uns an die Arbeit machen. Wir treffen uns in Dens Büro. Sagen Sie den anderen Bescheid. In zehn Minuten.«
Als sie gegangen war, um seinem Befehl Folge zu leisten - wie sehr er es genoß, in solchen Kategorien zu denken! -, nahm Rodney sich wieder seinen Terminkalender vor. Er blätterte ihn schnell durch. Zehn Minuten, meinte er, seien mehr als genug für den Anruf, der seine Zukunft sichern sollte.
Die leerstehenden Häuser, von denen Deborah und Helen St. James erzählt hatten, gehörten zu einer Zeile heruntergekommener Gebäude in der George Street, nicht weit von einem auf schick getrimmten japanischen Restaurant, das sogar den Luxus eines eigenen Parkplatzes zu bieten hatte. Dort ließen St. James und Helen den MG stehen.
Die George Street war typisch für das moderne London, eine Straße, in der alles zu finden war, von der würdigen United Bank of Kuwait bis zu verlassenen Mietshäusern, die darauf warteten, daß jemand in ihre Zukunft investierte. Im Erdgeschoß der Häuser, auf die er und Helen jetzt zugingen, waren früher Ladengeschäfte gewesen, und in den darüberliegenden Stockwerken Wohnungen. Die Glasscheiben der Schaufenster und der Ladentüren waren durch Metallplatten ersetzt worden, über die man kreuzweise Bretter genagelt hatte. Doch die Fenster in den Stockwerken darüber waren nicht vernagelt, ihre Scheiben waren intakt. Die Wohnungen waren also bestens dazu geeignet, von Obdachlosen besetzt zu werden.
Während St. James die Häuser musterte, sagte Helen: »Also von vorn kommt da keiner rein.«
»Nein, bei diesen Bretterbarrikaden sicher nicht. Aber das würde sowieso keiner riskieren. Auf der Straße ist zuviel los. Da könnte viel zu leicht jemand etwas beobachten und die Polizei anrufen.«
»Simon«, sagte Helen aufgeregt, »du glaubst doch nicht, daß Charlotte hier ist? In einem dieser Häuser?«
Er war immer noch in die stirnrunzelnde Betrachtung der Gebäude vertieft. Erst als sie noch einmal seinen Namen sagte und die Frage wiederholte, reagierte er. Doch er sagte nur:
»Wir müssen mit ihm sprechen, Helen. Wenn es ihn gibt.«
»Den Stadtstreicher? Zwei Personen im Cross Keys Close haben ihn gesehen, Simon. Wie soll es ihn da nicht geben?«
»Sicher, sie haben jemanden gesehen«, meinte St. James.
»Aber ist dir an Mr. Pewmans Beschreibung des Mannes nichts aufgefallen?«
»Nur, daß er ihn so genau beschreiben konnte.«
»Ja, das auch. Aber findest du die Beschreibung nicht auffallend typenspezifisch? Ich meine, sie entspricht doch genau dem Bild, das jeder von einem Stadtstr eicher hat. Der Seesack, die alten Khakiklamotten, die Strickmütze, das Haar, das verwitterte Gesicht. Besonders das Gesicht. Dieses eindrucksvolle Gesicht.«
Helen sah ihn verblüfft an. »Willst du damit sagen, der Mann war verkleidet?«
»Etwas Besseres kann man sich doch kaum einfallen lassen, wenn man ein paar Tage lang unauffällig ein bestimmtes Viertel überwachen möchte.«
»Aber natürlich. Natürlich. Während er in den Mülltonnen gekramt hat, konnte er Charlotte genau beobachten. Aber
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