Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
hinauf. Die kräftige Muskulatur seines Oberkörpers, die sich in den Jahren seiner Behinderung entwickelt hatte, half ihm dabei. Sobald er oben auf dem Deckel stand, neigte er sich zu Helen hinunter und zog sie zu sich herauf. Jetzt konnten sie zur Mauer hinaufreichen, aber nicht über sie hinwegsehen. Helen hatte recht, sagte sich St. James. Er würde ihre Hilfe brauchen.
    Er schob seine Hände ineinander, so daß sie ihren Fuß hineinstellen konnte. »Du zuerst«, sagte er. »Du mußt mir dann hinaufhelfen.« Er hievte sie in die Höhe. Sie umklammerte mit beiden Händen den oberen Rand der Mauer, zog sich ächzend hoch und schwang sich rittlings hinauf. Sobald sie sicher saß, drehte sie den Kopf, um die Rückfront des Hauses und seinen Garten zu mustern.
    »Hier sind wir richtig«, sagte sie.
    »Was meinst du?«
    »Hier war jemand.« Ihre Stimme klang erregt. »Unten an der Mauer steht eine alte Kommode. Die hat bestimmt jemand hingeschoben, um leicht hinaus- und hineingelangen zu können. Komm ...« - sie bot ihm die Hand -, »schau's dir selbst an. Ein Stuhl ist auch da. Zum Abstieg von der Kommode. Und das Unkraut ist niedergetreten. Da führt ein Weg direkt zum Haus. Er schaut frisch aus.«
    Mit der rechten Hand die Mauerkante umklammernd, mit der linken Helens Hand umfassend, zog St. James sich hinauf. Einfach war das nicht mit einem unbrauchbaren Bein in einer Schiene. Sein Gesicht war schweißnaß, als er den anstrengenden Klimmzug schließlich vollendet hatte.
    Auf einen Blick sah er ihre Aussage bestätigt. Die Kommode, die so mitgenommen aussah, als hätte sie schon jahrelang im Garten gestanden, war offenbar vom Haus her zur Mauer geschoben worden und hatte den Pfad mitgeschaffen, den Helen erwähnt hatte. Er schien wirklich ganz frisch zu sein. Dort, wo er zwischen Sträuchern hindurchführte, waren die abgebrochenen Zweige noch nicht braun geworden.
    »Volltreffer«, murmelte Helen.
    »Was?«
    Sie lächelte. »Ach, nichts. Wir können hier leicht wieder rausklettern, wenn wir die Kommode benutzen. Soll ich mitkommen?«
    Er nickte, froh, sie an seiner Seite zu haben. Sie ließ sich zu der Kommode hinunter und von dort auf den Stuhl, der neben ihr stand. St. James folgte ihr.
    Der Garten war nicht groß, ein Fleckchen von vielleicht fünfzig Quadratmetern, dicht überwachsen von Unkräutern, Efeu und Ginster, der sich im Wildwuchs prächtig entwickelt hatte: Ein Meer gelber Blüten leuchtete an den Mauern und neben der Hintertür des Hauses.
    Es war, wie sie feststellten, eine Art Brandtür, eine Stahlplatte, die genau auf den Rahmen zugeschnitten und direkt im Holz verankert war. Es gab weder einen Türknauf, den man hätte drehen, noch Türangeln, die man hätte entfernen können. Man hätte nur hindurchgelangen können, wenn man das ganze Ding aus seiner Verankerung gerissen hätte.
    Doch die Erdgeschoßfenster waren auf dieser Seite nicht so gut gesichert. Sie waren zwar von innen mit Brettern vernagelt, doch ihre Glasscheiben waren zerbrochen, und bei genauerer Untersuchung stellte St. James fest, daß eins der Bretter gelockert worden war, so daß man ohne allzuviel Mühe durch das betreffende Fenster ins Haus und wieder hinaus klettern konnte. Helen holte den Stuhl, während er das Brett entfernte.
    »Eigentlich komisch«, bemerkte sie, »daß die Eigentümer die Fenster nicht besser verrammelt haben, wo sie sich doch mit der Tür solche Mühe gemacht haben.«
    St. James stieg auf den Stuhl. »Vielleicht dachten sie, die Tür würde reichen, um Hausbesetzer abzuhalten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand auf Dauer diesen Weg würde benutzen wollen.«
    »Aber vorübergehend ...«, meinte Helen nachdenklich.
    »Ideal, oder nicht?«
    »Richtig«, sagte St. James.
    Durch das Fenster gelangte man in einen Raum, der dem Laden im Erdgeschoß offenbar als Lager gedient hatte. Er war mit Schränken, Regalen und einem staubigen Linoleumboden ausgestattet, auf dem St. James trotz der schlechten Beleuchtung Fußabdrücke erkennen konnte.
    Er ließ sich vom Fenster zum Boden hinunter, wartete, bis Helen ihm nachgekommen war, und zog eine Taschenlampe heraus. Er richtete ihren Strahl auf die Fußabdrücke im Staub, die zum vorderen Teil des Hauses führten.
    In dem Lagerraum roch es nach Schimmel und verfaultem Holz. Während sie sich vorsichtig ihren Weg durch den Korridor nach vorn suchten, nahmen sie neue Gerüche wahr: den übelkeitserregenden Geruch von Kot und Urin aus einem Badezimmer, in dem

Weitere Kostenlose Bücher