08 - Im Angesicht des Feindes
entführen hätte er sie in diesem Aufzug nicht können. Da hätte sie sofort Angst bekommen und eine solche Szene gemacht, daß sich irgend jemand daran erinnert hätte. Folglich hat er die Verkleidung weggelassen, als er genug über sie wußte, und sie dann entführt.
Richtig?«
»Aber er hätte einen Platz zum Umziehen gebraucht, wo ihn keiner beobachten konnte. Ein Versteck, wo er sich in den Stadtstreicher verwandeln und später in den zurückverwandeln konnte, der er wirklich ist.«
»Die leeren Häuser«, sagte sie.
»Vielleicht. Komm, wir schauen uns mal um.«
Obwohl die sogenannten squatter, Leute, die ohne Rechtstitel ein Haus oder Grundstück in Besitz nehmen, vom Gesetz geschützt waren, mußten sie gewisse Regeln beachten, um nicht wegen Einbruchs oder unbefugten Eindringens belangt zu werden. Ein squatter mußte neue Schlösser an den Türen anbringen und ein Schild aufstellen, das seine Absicht, ein leerstehendes Haus zu besetzen, kundtat. Aber jemand, der keine Aufmerksamkeit erregen wollte, schon gar nicht das Interesse der zuständigen Polizei auf sich ziehen wollte, würde sich an diese Regeln nicht halten. Er würde vielmehr in aller Heimlichkeit und auf weniger konventionellem Weg in einem leerstehenden Haus Einzug halten.
»Gehen wir nach hinten«, schlug St. James vor.
Die Häuserzeile wurde zu beiden Seiten von je einer Gasse begrenzt. St. James und Helen wählten die näher liegende und folgten ihr zu einem kleinen viereckigen Platz. Eine Seite des Platzes wurde von einem vielstöckigen Parkhaus eingenommen, an zwei anderen Seiten erhoben sich die Rückfronten von Häusern anderer Straßen, und die vierte Seite stieß an die kleinen Gärten der Mietshäuser in der George Street. Mauern umgaben diese Gärten, mindestens drei Meter hoher rußgeschwärzter Backstein, von wildem Grünzeug überwuchert. Ein zukünftiger Hausbesetzer hätte schon eine Bergsteigerausrüstung gebraucht, um sie zu überwinden. Doch am Ende der Gasse, unmittelbar bevor sie in den Platz mündete, schien es einen Eingang zu geben.
Hier gelangte man durch ein unverschlossenes, zweiflügeliges Tor aus verwittertem Holz in einen kleinen, eingefriedeten Innenhof, dessen eine Seite die hohe Mauer eines der Hintergärten bildete. Überall lag das ausrangierte Gerümpel früherer Bewohner des Hauses herum: Matratzen, Sprungrahmen, Mülltonnen, ein Wasserschlauch, ein alter Kinderwagen, eine Leiter, an der einige Sprossen fehlten.
Die Leiter sah vielversprechend aus. St. James zog sie hinter einer der Matratzen hervor. Doch ihr Holz war morsch, und die Sprossen, die noch vorhanden waren, machten nicht den Eindruck, als würden sie das Gewicht eines Erwachsenen tragen. St. James legte sie deshalb wieder nieder und richtete sein Augenmerk auf einen leeren Müllcontainer, der hinter einem der Torflügel stand.
»Er läuft auf Rollen«, bemerkte Helen. »Wollen wir's versuchen?«
»Ich denke, ja«, antwortete St. James.
Der Müllcontainer war verrostet, und es sah nicht so aus, als würden die Rollen sich drehen. Doch als St. James und Helen sich rechts und links von ihm aufstellten und ihn mit kräftigem Ruck in Bewegung zu setzen versuchten, stellten sie fest, daß er so leicht vorwärts rollte, als wären die Räder frisch geölt.
Sie schoben ihn direkt an die hohe Mauer. St. James sah, daß sie mit seiner Hilfe leicht zu überwinden wäre. Er prüfte die Stärke des Metalls seiner Wände und des Deckels. Es schien stabil zu sein. Dann bemerkte er, daß Helen ihn mit gerunzelter Stirn und offensichtlichem Unbehagen beobachtete. Er wußte, was sie dachte: Nicht unbedingt die richtige Gymnastik für einen Mann mit einem kranken Bein, Simon. Sie sagte es natürlich nicht.
Sie wollte es nicht riskieren, ihn mit einer Erinnerung an seine Behinderung zu verletzen.
»Es ist die einzige Möglichkeit«, sagte er auf ihre unausgesprochene Besorgnis hin. »Ich schaff das schon, Helen.«
»Aber wie kommst du von der anderen Seite wieder über die Mauer?«
»Ach, in dem Haus finde ich sicher etwas, das ich benutzen kann. Wenn nicht, mußt du eben Hilfe holen.« Sie schien ihre Zweifel an dem Plan zu haben. »Es ist die einzige Möglichkeit«, sagte er wieder.
Sie überlegte einen Moment und gab schließlich nach.
»Dann laß dir aber wenigstens von mir helfen. Okay?«
Er taxierte die Höhe der Mauer und die Höhe des Containers und stimmte ihrem Vorschlag mit einem Nicken zu. Schwerfällig zog er sich auf den Container
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