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08 - Old Surehand II

08 - Old Surehand II

Titel: 08 - Old Surehand II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sichtbarem Interesse auf dem Gesicht des Marinelieutenants Jenner, der von dem Kapitän des Orlogschiffes vorgestellt worden war.
    „Sie kommen um Kap Horn, Lieutenant?“ fragte sie ihn.
    „Direkt nicht. Ich kreuze schon längere Zeit vis-à-vis dem Isthmus.“
    „Ah, ein langweiliges Geschäft, nicht? Hatten Sie nicht Zeit, schon längst einmal hier anzulegen?“
    „Leider nicht. Der Dienst zur See ist streng.“
    „Wissen Sie, Lieutenant, daß ich mich trotzdem außerordentlich für das Seewesen interessiere?“
    „Ah! Die See hat allerdings etwas Anziehendes selbst für Damen; aber das, was man unter ‚Seewesen‘ gewöhnlich zu verstehen pflegt, ist so trocken und – gefährlich, daß ich kaum einer Lady im Ernst zumuten möchte, sich –“
    „Pah“, fiel sie ihm in die Rede; „nicht jede Dame fürchtet die Gefahr, ebenso wie nicht jeder Herr ein Herkules ist. Meine Heimat ist eine Insel, rings vom Wasser umgeben; ich habe zahlreiche Verwandte drüben auf dem Kontinent, bin viel hin und her gefahren, oft droben in New York oder Boston gewesen, habe sogar einmal das Kap der guten Hoffnung besucht und mir dabei eine Teilnahme für die See angeeignet, welche sich auf alles erstreckt, was mit der letzteren in Beziehung steht. Sogar den nautischen Wissenschaften, die für den Laien allerdings so schwer und trocken sind, wie Sie sagen, habe ich einige Teilnahme schenken dürfen, und wenn Sie mein Arbeitskabinett betreten wollten, so könnte ich Ihnen den sichersten Beweis für diese Behauptung liefern.“
    „Für ein solches Heiligtum dürfte mein Fuß doch vielleicht zu profan sein.“
    „Meinen Sie! Man lebt hier so ungeniert und unabhängig von den sonstigen Regeln der Etikette und Dehors, daß ich meinen Gästen gegenüber sicherlich keinen faux-pas begehe, wenn ich Sie ersuche, mir Ihren Arm zu geben!“
    Sie legte ihren Arm in den seinen und schritt mit ihm durch mehrere Gemächer bis in das Zimmer, welches allerdings die Bezeichnung ‚Arbeitskabinett‘ wenig oder gar nicht verdiente. Es war das Boudoir der Dame und mit einem Luxus ausgestattet, der geradezu raffiniert genannt werde mußte.
    Hier trat sie an ein kostbares Schreibmöbel, öffnete einen Kasten desselben und entnahm demselben eine vollständige Sammlung der zuverlässigsten und wertvollsten Seekarten. Die andern Kästen enthielten alle nautischen Instrumente, welche zur Führung eines Schiffes erforderlich sind.
    Jenner konnte seine Verwunderung über diesen unerwarteten Schatz nicht verbergen. Er gestand aufrichtig: „Ich muß sagen, Miß, daß ich in meiner Kajüte nicht bessere Karten und Instrumente besitze!“
    „Möglich; ich pflege nie etwas Unbrauchbares zu meinem Eigentum zu machen.“
    „Aber diese Gegenstände sind nur nach tiefen Studien und nur in der Praxis zu verwenden!“
    „Und diese Studien trauen Sie einer Dame nicht zu?“
    „Ich fand noch keine, welche mich zu einer andern Überzeugung bekehrt hätte.“
    „So bitte ich, mich zu examinieren!“
    Ihr Auge hing mit einem belustigten Blick, in welchem ein aufmerksamer Beobachter jedenfalls etwas wie Hohn oder Verachtung bemerkt hätte, in seinen offenen, ehrlichen Zügen.
    „Examinieren?“ lachte er. „Wer vermöchte es, hier Ihnen gegenüber die zu einem solchen Vorhaben nötige Ruhe zu bewahren! An Bord meines Schiffes würde ich weniger befangen sein.“
    „Dieser ‚l'Horrible‘ ist ein prächtiges Schiff, Sir, das prächtigste, welches ich kenne; aber wissen Sie, daß ich Sie dieses Fahrzeug wegen hassen sollte?“
    „Hassen? Weshalb?“
    „Weil ich auf ihm die schlimmsten und bittersten Stunden meines Lebens durchlitten und durchjammert habe.“
    „Sie waren auf dem ‚l'Horrible‘?“ fragte er erstaunt.
    „Ja. Sie kennen die Geschichte dieses berühmten oder vielmehr berüchtigten Fahrzeuges?“
    „So ziemlich.“
    „So hörten Sie auch von einer Dame, welche sich an Bord desselben befand, als es genommen wurde?“
    „Gewiß.“
    „Sie war mit einem Kauffahrer vom Kap gekommen und in die Hände des ‚Schwarzen Kapitäns‘ geraten?“
    „So ist es!“
    „Nun, diese Frau war ich!“
    „Waren Sie? Welch ein Zusammentreffen, Miß! Sie müssen mir später von diesem außerordentlichen Abenteuer erzählen!“
    „Darf ich einen Wunsch äußern, Sir?“
    „Sprechen Sie!“
    „Darf ich den ‚l'Horrible‘ sehen, darf ich ihn nochmals besteigen, um die Stätte, an welcher ich so viel verlor, durch meine Gegenwart zu – zu –

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