080 - Befehle aus dem Jenseits
Hand verschwand wieder im Sarg.
Wir wollten nicht abwarten, bis er sich beruhigt hatte. Gemeinsam wuchteten wir den schweren Deckel hoch.
Der Mann blickte uns vor Angst schlotternd an. „Was suchen Sie hier?"
„Das können wir Sie genausogut fragen, Genosse", erwiderte Kiwibin streng. „Was sollen die Scherze? Warum kriechen Sie in den Sarg?"
„Hat die Partei Sie hergeschickt?"
Kiwibins Miene wurde eisig. Sollte der Kerl ruhig Angst haben, die Partei würde sich für sein abnormes Verhalten auf dem Friedhof interessieren. Das würde vielleicht seine Zunge schneller lösen. „Ich verlange eine Erklärung!" sagte Kiwibin streng.
Langsam richtete sich der Mann aus seinem Sarg auf. Er kletterte heraus und machte ein betretenes Gesicht. Das Ganze schien ihm furchtbar unangenehm zu sein.
„Hat es etwas mit der Angst zu tun, lebendig begraben zu werden?"
Der Mann nickte heftig.
„Los, erzählen Sie uns alles! Ich habe keine Lust, die ganze Nacht auf dem Friedhof zu verbringen. Ich kann mir wirklich etwas Gemütlicheres vorstellen."
„Ich habe vor einigen Wochen geträumt, man würde mich lebendig begraben", begann der Mann. Seine Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Er war unrasiert und schmutzig. Seine Augenfarbe war wässerig, und die rote Nase zeugte vom reichlich genossenen Alkohol. „Seitdem verfolgt mich dieser Gedanke jede Nacht. Das ist so schlimm, daß ich an nichts anderes mehr denken kann. Sie können sich das vielleicht nicht vorstellen, aber ich kann kaum noch arbeiten. Deshalb ließ ich mir diesen Überlebenssarg anfertigen. Ich brauche nur auf einen Knopf zu drücken, und eine Warnlampe leuchtet auf. Das Glöckchen wird ebenfalls automatisch zum Bimmeln gebracht. Ferner habe ich Beruhigungstabletten im Sarg liegen. Und falls die elektrische Anlage ausfallen sollte, bleibt mir immer noch das Werkzeug. Wie Sie sehen, habe ich an alles gedacht."
„Nur an eines nicht", meinte ich nachdenklich.
Es war zwar gemein, den Mann in dieser Situation noch mehr zu erschrecken, aber ich hoffte, daß er dann mehr über seine Angst plaudern würde.
„Sie könnten lebendig begraben wer den. Aber haben Sie schon daran gedacht, daß Sie dann völlig gelähmt sind? Sie sind bei Bewußtsein, atmen, und Ihr Herz schlägt, doch Sie können sich nicht rühren. Dann nützt Ihnen die Alarmanlage auch nichts mehr."
Der Mann stierte mich fassungslos an. Seine wässerigen Augen schienen ihm aus dem Kopf zu fallen. Er schluckte und wollte etwas sagen. Seine Rechte fuchtelte vor meinem Gesicht herum.
„Wie können Sie so was nur denken?" keuchte der Mann. „Jetzt habe ich überhaupt keine Ruhe mehr. Ich werde noch wahnsinnig!"
Weiter kam er nicht. Ein entsetzlicher Schrei hallte durch die Nacht. Es war der Schrei eines Mannes in höchster Not. Der Schrei brach ab. Während wir angespannt nach draußen lauschten, vernahmen wir ein leises Wimmern. Es kam aus der Tiefe. Schließlich verstummte es wieder. Totenstille herrschte auf dem nächtlichen Friedhof.
„Was war das?"
Ich hob die Schultern.
„Es kann nicht weit von uns gewesen sein. Wenn wir uns beeilen, können wir vielleicht noch eingreifen."
Nikolaj Satjukow war erst neunzehn Jahre alt. Er hätte sich nicht träumen lassen, daß mit ihm und Laika etwas schiefgehen würde. Noch genau erinnerte er sich daran, wie sie sich kennengelernt hatten. Es war an einem Sonnabend im April gewesen; fast genau vor einem Jahr also. Im einzigen Kino der Stadt hatten sie einen französischitalienischen Film gezeigt. Genau konnte er sich nicht mehr an den Titel und die Handlung erinnern. Er war viel zu sehr mit Laika beschäftigt gewesen. Nikolaj hatte einfach ihre Hand ergriffen und sie ins Kino geführt.
Sie war schlank und für ihr Alter recht gut entwickelt gewesen. Andere Mädchen mit siebzehn waren entweder dürr wie Bohnenstangen oder fett wie alte Matronen. Sie waren sich vom ersten Augenblick an sympathisch gewesen. Sie hatte nichts dagegen gehabt, daß er ihr während der Filmvorstellung die Hand aufs Knie legte. Als sie anschließend vor dem blauen Kiosk einen Gasirowka, das überall erhältliche Sprudelwasser, tranken, hatte er den Arm um ihre Schultern gelegt. Sie hatte sich gern von ihm küssen lassen.
Das Jahr war wie im Fluge vergangen. Sie hatten alles für die Hochzeit geplant. Doch dann hatte sie ihren eigenen Tod geträumt. Er hatte sich zuerst über sie lustig gemacht, aber nachdem er erfahren hatte, daß auch noch andere den gleichen Traum gehabt
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