0802 - Der Wächter
Rüstung!
***
Bill Conolly hatte sich zuvor gefühlt, als wäre sein Innerstes mit dicker Watte verstopft gewesen, nun aber drang diese Watte aus ihm hervor, begleitet von einem zischenden Atemzug, und er fühlte sich so wie immer, also viel besser.
Ein Ritter also und kein Horrorreiter!
So hatte auch Suko gedacht, und er flüsterte Bill seine Bemerkung zu. Der Reporter nickte nur.
Der Ritter machte nicht den Eindruck, als wollte er sie angreifen, trotz seines zum Schlag erhobenen Schwerts. Er war eine Gestalt aus der Vergangenheit, die, aus welchen Gründen auch immer, überlebt hatte. Wahrscheinlich wegen einer bestimmten Funktion, die sie ausfüllen musste, doch das kümmerte die beiden wenig. Sie hatten mit sich zu tun, mit ihren Problemen, und sie hätten gern das Gesicht der Gestalt gesehen, was allerdings nicht möglich war, denn das Visier des Helms war nach unten gezogen worden.
Zwar gab es Schlitze für die Augen, auch für den Mund, aber das war einfach zu wenig.
Sie nahmen nur den Geruch der Gestalt wahr, und der gefiel ihnen gar nicht.
Diese einsame Gestalt strömte einen alten, muffigen, kloakenhaften Geruch aus, in den sich auch der Gestank nach vermodertem Fleisch mischte, das nur mehr locker auf den Knochen lag und mit leichten Bewegungen abgezogen werden konnte.
Der Ritter war vor der Wand stehen geblieben, die ihr Leuchten noch immer nicht aufgegeben hatte. So wurde die Gestalt von der Rückseite her von einem leichten Glanz angestrahlt, und die Rüstung sah aus, als wäre sie an einigen Stellen von einem leichten Goldfilm bedeckt.
Niemand sprach.
Suko und Bill hielten den Atem an. Der Inspektor war etwas zur Seite getreten. Er hatte sich leicht geduckt, eine Abwehrhaltung, denn er wollte von einem schnellen Hieb nicht unbedingt getroffen werden.
Danach sah es nicht aus.
Der Ritter ging nicht einmal vor. Er blieb auf der Stelle stehen, aber er bewegte seinen Kopf, daran zu erkennen, dass sich in den Schlitzen etwas Dunkles schimmernd bewegte – die Augen oder das, was von ihnen übrig geblieben war.
»Lebend oder untot?«, murmelte Bill.
»Eher ein Zombie.«
Der Reporter grinste. »Dann viel Spaß.«
»Keine Sorge, noch hat er uns nichts getan. Es scheint so, als müsste er sich selbst orientieren, denke ich.«
»Was will er?«
»Keine Ahnung.«
»Hast du nicht überlegt?«
»Nein, Bill…«
»Mir kommt er vor wie ein Wächter oder ein Hüter, der einen Schatz zu bewachen hat.«
»Gralshüter?«
»So ähnlich…«
Sie hatten schnell gesprochen, weil nichts passiert war. Das änderte sich nun, denn mit der freien Hand griff der unheimliche Ritter in die Höhe, und seine Klaue bewegte sich auf das zugeklappte Visier zu. Die Finger steckten in einem steifen Handschuh, ließen sich trotzdem bewegen, wenn auch von kratzenden und knirschenden Geräuschen begleitet. Was die Gestalt vorhatte, stand fest.
Mit einem Ruck klappte sie das Visier hoch. Als es den Druckpunkt erreicht hatte, erklang ein leises Klappern, für die beiden Männer aber lag das Gesicht frei.
Ein Gesicht?
Nein, so konnte man es nicht mehr bezeichnen. Es war auch keine Knochenfratze, sondern lag irgendwo dazwischen. Jedenfalls eine klumpige und angefaulte, stinkende Masse. Gelblich wie alter Pudding schimmernd, in dem sogar noch Augen saßen, wobei sie wirkten wie übergroße Sagokörner. Die Hautmasse war alt und modrig, dementsprechend stank sie auch und zwang die beiden Männer, den Atem anzuhalten. Obwohl sie mit einem derartigen Anblick hatten rechnen müssen, waren sie doch geschockt. Gleichzeitig stellten sie sich die Frage, ob sich diese Person oder das Wesen vor ihnen auch bemerkbar machen konnte. Eine akustische Kommunikation, denn die Männer wollten teilhaben an dessen Wissen.
Ohne sich abgesprochen zu haben, konzentrierten sich beide auf die untere Hälfte des Gesichts, wo es, wenn überhaupt, so etwas wie einen Mund geben musste.
Der allerdings war nicht zu sehen, denn dort klumpte sich, ebenso wie in anderen Teilen des Gesichts, das alte, halb vermoderte Fleisch zusammen.
Das Visier blieb auch dann oben, als die Gestalt ihren Kopf bewegte, als wollte sie diesen geheimnisvollen Raum unter der Erde noch einmal durchforsten.
Irgendwo musste er einfach ansetzen, er hatte sich gezeigt, sicherlich nicht ohne Grund.
Hinter ihm war die Wand oder auch nur einfach das Licht. Es machte die beiden Männer neugierig, und es war Suko, der als Erster auf die Wand zuging.
Dabei ließ er den Ritter nicht
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