0809 - Das Schlangenkreuz
Lage hineingebracht hatten.
Also musste sie warten.
Wie lange noch?
Da die Balken nicht so dicht zusammenklebten, hatten sich zwischen ihnen Ritzen gebildet. Durch sie war die ganze Zeit über das Tageslicht gesickert, doch je mehr Zeit verstrich, umso stärker hatte sich die Farbe verändert. Es war nicht mehr so hell und grell, sondern satter und auch dunkler geworden.
Die Sonne zog sich allmählich zurück. Die Schatten der Dämmerung lauerten bereits, und in wenigen Stunden würde die Nacht ihr düsteres Gewebe über das Land gelegt haben.
Die Nacht!
Kiki dachte über sie nach, um sich so von ihren eigenen Sorgen abzulenken. Würde sie den Einbruch der Dunkelheit noch erleben, oder war sie bis dahin schon weggeholt worden? Wenn ja, ließ man sie am Leben, oder gab man ihr den Todesstoß?
Auch darüber hatte sie sich bereits Gedanken gemacht. So schlimm ihr der Tod auch immer vorgekommen war, jetzt, nach der langen Gefangenschaft, dachte sie anders darüber. Der Tod war nicht mehr so schlimm. Er hatte seinen Schrecken verloren, nicht völlig, aber so wie sie lebte, konnte man von einem Leben nicht mehr sprechen, es war mehr ein Dahinvegetieren, ohne sich bewegen zu können.
Kiki wusste, dass sie nie mehr so werden würde, wie sie einmal gewesen war.
Für sie hatte sich einfach alles verändert, selbst die Tränen waren bei ihr getrocknet. Es gab keine mehr, denn sie hatte sich im Laufe der Zeit ausgeweint.
Wie aber ging es weiter? Würde sich das Herz noch weiter vergrößern und sich sogar über ihr Gesicht legen? Wenn das eintraf, würde sie jämmerlich ersticken.
Sie betete darum, dass dies nicht geschah, und Kiki glaubte auch daran, denn in der letzten Zeit hatte das Herz seine Größe glücklicherweise nicht verändert.
Der Kopf lag frei, ein Teil der Beine ebenfalls, und das genau hatten die anderen wohl nur gewollt, denn sie hatten noch einiges mit ihr vor. Kiki war zu einem Versuchsobjekt der Gegenseite geworden, sie sollte das Opfer sein und…
Poch…
Ein Schlag unterbrach ihre Gedanken. Dieser eine Stoß war so heftig geführt worden, dass er wie ein dumpfes Echo in ihrem Kopf widerhallte. Unbewusst war sie mit dem Gesicht hochgeruckt. Ein leiser Wehlaut drang über ihre Lippen, aber sie hielt sich tapfer und gab ansonsten kein weiteres Geräusch von sich.
Dann sackte sie wieder nach vorn.
Das Kinn berührte den Boden. Sie hatte den Eindruck, als würde sich die gesamte Last nur auf das Kinn allein konzentrieren. Ein zischender Laut drang aus ihrem Mund, wobei dieses Geräusch von einem anderen überdeckt wurde.
Zum ersten Mal seit ihrem Erwachen aus der Bewusstlosigkeit hörte sie das Geräusch der Schritte draußen vor der Tür. Jemand näherte sich ihrem Gefängnis.
Vergessen war die Furcht vor dem Tod. Alles war ganz anders gekommen. Sie merkte die innere Spannung, und diese Geräusche waren für sie auch so etwas wie eine Erklärung, denn nun wusste sie, dass es weiterging.
Jemand kam…
An der Tür blieb er stehen. Kiki Lafitte wartete darauf, dass sie entriegelt würde, aber die andere Person ließ sich noch Zeit damit.
Sekundenlang tobte die Hoffnung in ihr, dass es Bob Crane geschafft hatte, ihr Versteck zu finden, aber diese Hoffnung trog, denn der G-Man hätte sich nicht so viel Zeit genommen.
Kiki hörte, wie draußen der Riegel zurückgezerrt wurde. Sekunden später schwang die Tür auf.
Sie konnte sich nicht mehr halten. Ihr Kopf sank zurück, und wieder drückte sie das Gesicht auf den Boden, wobei sie für einen Moment die Augen schloss und sich ausschließlich auf ihren Hörsinn verließ. Die Tür wurde lautstark aufgestoßen und wieder hörte sie die Geräusche.
Es mussten zwei Personen sein.
Kiki hielt den Atem an.
Sie kamen näher, sie lachten sogar, doch einer von ihnen staunte auch. »Es hat das Opfer angenommen. Es ist passiert. Das Herz, der Mensch, die Schlange.« Der Sprecher lachte scharf. »Verdammt noch mal, jetzt stehen wir vor dem Ziel.«
»Ja, fass mit an!«
Erst jetzt öffnete Kiki wieder die Augen. Viel sehen konnte sie nicht. Dafür spürte sie die Hände der beiden Männer an ihrem Körper. Finger fassten in ihr Haar und zerrten daran. Eine andere Hand umklammerte sie in Höhe der linken Wade.
Gemeinsam drehten die Männer sie auf den Rücken. Und diesmal schloss Kiki die Augen nicht.
Über ihr schwebten zwei weiße Gesichter. Kiki dachte darüber nach, ob ihr die beiden Männer schon einmal begegnet waren. Wenn ja, hätte das auf gewisse
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