0809 - Das Schlangenkreuz
und ließ dabei das Fenster nicht aus den Augen. Deshalb sah sie auch dort die Bewegung, jemand lief direkt auf den Eingang ihres Hauses zu. Es war kein Erwachsener, sondern ein Kind. Sie hatte den Jungen auch erkannt. Er hieß Mario und stammte aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Oft genug war er bei Marsha zu Besuch gewesen und hatte auch bei ihr gegessen. Mario hatte es eilig, denn er läutete Sturm.
Marsha befand sich bereits auf dem Weg zur Tür. Wegen ihrer Körpermasse konnte sie nicht so schnell laufen, aber das heftige Klingeln zeigte ihr an, dass etwas passiert sein musste.
Als sie öffnete, fiel ihr der Junge fast vor die Füße. Mario hatte sich gegen die Tür gelehnt gehabt, jetzt taumelte er in den Flur, stützte sich an der Wand ab und musste erst einmal tief durchatmen.
Marsha schloss die Tür noch nicht sofort. Sie schaute sich kurz auf dem Platz vor dem Haus um, ohne dort jedoch etwas erkennen zu können. Bei den Bäumen hielt sich niemand versteckt.
Nach dem Umdrehen und dem Schließen der Tür richtete sie ihren Blick auf Mario. Er war dreizehn, hatte eine dunkle Hautfarbe und war ein aufgewecktes Bürschchen. An diesem Tag trug er Turnschuhe, die schon schmutzig geworden waren, ein buntes Hemd, das an seinem Körper klebte, und hellblaue Jeans. Seine Schirmmütze zog er vom Kopf und wischte sich über das ebenfalls schweißfeuchte Haar. »Es ist gefährlich, Marsha…«
»Wie bitte?«
Mario nickte. »Ja, es ist gefährlich… Du … du kannst hier nicht länger bleiben.«
»Wer sagt das?« Die Frau bemühte sich darum, gelassen zu bleiben, was ihr nur schwerlich gelang. Durch den Besuch des Jungen waren ihre Befürchtungen bestätigt worden.
»Ich habe es gehört.«
»Toll.« Noch tat sie seine Befürchtungen locker ab. »Willst du nicht erst einen Saft trinken?«
»Nein, nein, nein. Du musst weg!«
Marsha dachte nach. Wenn der Junge selbst einen Saft ausschlug, dann musste es tatsächlich brennen, denn er war immer gern zu ihr gekommen, um sich zu erfrischen. »Lass uns trotzdem in die Küche gehen«, schlug sie vor. »Einverstanden?«
»Aber nur kurz.«
»Auch das.«
In der Küche stellte sich Mario sofort an das Fenster und schaute nach draußen. Marsha hielt sich zurück, sie sagte nichts. Aber sie trat an den Kühlschrank heran und öffnete die große Tür. Die Saftdosen waren dort gestapelt. Sie holte zwei hervor. Eine für Mario, die andere für sich, denn auch sie verspürte einen brennenden Durst. Als sie die beiden Laschen aufriss, drehte sich Mario um, denn dieses Geräusch kam ihm sehr bekannt vor.
»So, dann mal in aller Ruhe, mein Junge«, sagte sie und reichte ihm eine Dose.
Er nahm sie und schüttelte dabei den Kopf. »Es gibt keine Ruhe«, sagte er mit leiser Stimme.
»Warum nicht?«
»Du bist in Gefahr, Marsha.«
Sie lachte nicht, sie widersprach auch nicht. Sie hob die Dose an und trank einen langen Zug. Der Saft mit dem Zitronengeschmack lief kalt in ihre Kehle, doch das bedrückende Gefühl konnte er nicht wegspülen. Es blieb nach wie vor.
Auch Mario hatte getrunken. Mit flackerndem Blick schaute er Marsha ins Gesicht. »Ich habe wirklich nicht gelogen, die Gefahr ist da. Ich weiß es nämlich.«
»Schön. Woher weißt du es?«
Er leckte über seine Lippen. »Das kann ich dir genau sagen. Da waren Männer auf den Kanälen. Sie haben nach dir gefragt und wollten nur wissen, ob du im Haus bist.«
»Welche Männer?«
»Fremde.«
»Polizisten?«
Mario schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Nein, einen Bullen erkenne ich. Die waren schlimmer, viel schlimmer.«
»Gangster?«
»Ja.« Er nickte heftig. »Das müssen Gangster gewesen sein. Ich weiß ja nicht, was sie wollten…«
»Haben sie dich auch angesprochen?«
Der Junge nickte heftig. »Klar, das taten sie.« Er grinste. »Ich habe sie aber angelogen und ihnen erzählt, dass du dein Haus verlassen hättest.«
»Gut gemacht, Mario, gut gemacht. Haben sie sonst noch etwas gefragt oder zu dir gesagt?«
»Nein, eigentlich nicht. Doch ja, sie wollten wissen, ob der Pater noch bei dir wohnt.«
»Was hast du gesagt?« Marsha beugte ihren Kopf vor. Sie war jetzt ganz Ohr.
Der Junge lächelte. »Ich habe ahnungslos getan und gemeint, dass der Pater in seiner Kirche ist. Ob sie mir beides geglaubt haben, kann ich dir nicht sagen, jedenfalls sind sie wohl nicht verschwunden. Ich habe sie noch in der Nähe gesehen.«
»Und deshalb soll ich verschwinden?«
»Ja.«
»Wohin denn?«
»Einfach
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