0811 - Die Aibon-Amazone
frisch gemacht. Ich wollte Jane nicht gerade als zerknitterter, müder Opa gegenübertreten.
Ich trank einen Schluck Bier und zündete mir eine Zigarette an, was selten genug geschah. Rauchend durchwanderte ich den Wohnraum, dabei in Gedanken versunken.
Aibon gehörte noch immer zu den großen Rätseln, die von mir nicht hatten entschlüsselt werden können. Bei meinen wenigen Besuchen hatte ich zwar einiges erfahren, es war trotzdem nicht viel.
Über genaue Strukturen hatte ich kaum etwas herausgefunden. Ich wusste zwar von der Dualität des Landes, auf der einen Seite das Paradies, auf der anderen die Druiden-Hölle mit Guywano an der Spitze, welche Strömungen, inneren Auseinandersetzungen und Kämpfe es allerdings gab, darüber hatte man mich nicht informiert.
Jetzt war wieder eine neue Person erschienen. Eine Amazone, eine Jägerin, Kimberly Hart mit Namen.
Darüber stolperte ich.
Hieß so jemand, der in Aibon lebte? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Der Name Kimberly Hart hörte sich normal an. So konnte durchaus ein Filmstar heißen oder jemand, der allgemein im Mediengeschäft tätig war.
Ich war sehr nachdenklich geworden, und mit einer ebenso nachdenklichen Bewegung stäubte ich die Asche ab. Dabei hatte ich einen Blick nach rechts geworfen, wo sich eines der beiden Fenster befand. Ich sah das Viereck, ich sah auch die Scheibe und die hinter ihr liegende nächtliche Dunkelheit.
Ich sah die zuckende Bewegung, die mich stutzig werden ließ. Zuerst glaubte ich, einen Vogel gesehen zu haben. Doch mitten in der Nacht flogen die Tiere kaum so hoch. Zudem hatten auch sie sich ihre Ruhe verdient. Kein Vogel – was dann?
Ich richtete mich auf und stellte fest, dass sich die Bewegung auf die Höhe der Fensterbank konzentrierte.
Da also?
Ich ging zum Fenster.
Bevor ich es noch öffnen konnte, war dieser »Vogel« wieder verschwunden.
Einfach abgetaucht, nicht in die Höhe gestiegen, nicht geflogen, sondern nach unten hin verschwunden. Es musste sich kurzerhand fallen gelassen haben.
Meine Beunruhigung verschwandtrotzdem nicht, und ich zerrte das Fenster auf.
Die kühle, ins Zimmer fließende Luft tat mir gut. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass auf meiner Stirn doch ein leichter Schweißfilm lag. Vielleicht hatte ich zu viel nachgedacht, beugte mich aus dem Fenster und schaute an der Hauswand entlang dem Boden entgegen, wo sich zwischen den beiden hier stehenden Hochhäusern die begrünten Parkplätze ausbreiteten, die es außer den Tiefgaragen noch gab.
Da war nichts zu sehen. Abgesehen von einigen Jugendlichen, die zusammenstanden und sich unterhielten. Ihre Stimmen hallten wie ferne Echos zu mir hoch.
Also doch ein Irrtum!
Ich drängte mich noch nicht zurück und ließ meine Blicke jetzt über die Hauswand gleiten, vorbei an den Fenstern, deren Vierecke überwiegend im Dunkeln lagen, denn viele Mieter waren schon zu Bett gegangen.
Noch dunkler war das für mich nicht erkennbare Etwas, das sich an der glatten Hauswand festklammerte.
Ja, das war es. Das hatte ich von meiner Wohnung aus gesehen.
Doch es war, darauf hätte ich Gift genommen, kein Vogel, denn so sah es nicht aus.
Es erinnerte mich mehr an einen dicken Klumpen, den jemand gegen die Fassade geklatscht hatte. Dieser Klumpen rührte sich nicht.
Ich trug die Bleistiftleuchte nicht bei mir, wollte sie auch nicht holen, es hätte mich zu viel Zeit gekostet. Vielleicht hatte ich Glück, und das Ding bewegte sich auf mich zu.
Wer oder was war es?
Ich dachte an Janes Anruf. Sie hatte mir unter anderem von den Beißern berichtet, die so etwas wie die Leibwächter der Amazone gewesen waren. In der Kürze der Zeit hatte mir Jane keine sehrdetaillierte Beschreibung geben können, deshalb ging ich mal davon aus, dass sich einer dieser Beißer verlaufen hatte oder aus einem bestimmten Grund zu mir gekommen war.
Wenn ja, dann war die andere Seite sehr gut informiert und hatte die Verbindung zwischen Jane und mir schnell herstellen können.
Plötzlich bewegte sich das Tier.
So schnell, dass ich es kaum mitbekam. Mit einer affenartigen Geschwindigkeit kletterte es an der Wand nach oben. Ich hörte das Kratzen der Krallen auf dem Gestein, sah sogar Staub hochwolken, in das sich ein bösartig klingendes Fauchen mischte, und wenig später war es zum Greifen nahe vor mir.
Ich sah in das Gesicht, erschrak – und zuckte zurück.
Schon hockte es auf der Fensterbank!
Jane hatte nicht übertrieben. Dieser Beißer war wirklich
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