0814 - Mister Amok
schon.«
»Wieso? Was bedeutet das?«
»Nun ja, ich stamme aus Kuba. Ich bin seit drei Jahren hier. Als Kind habe ich viele Dinge erlebt, die für Europäer zumindest suspekt, wenn nicht unglaublich sind. Auf unserer Insel sind noch viele Menschen tief in den Traditionen verwurzelt. Da hält man noch viel von alten Überlieferungen. Manche Gebete hören sich nicht nur so an wie Beschwörungen, sie sind es auch.«
»Zauberei und Schamanentum?«
»Das ist die Antwort.«
»Aber was hat das mit meinem geraubten Kind zu tun, Coco?«
»Nun ja, ganz einfach. Auch ich habe von Fällen gehört, wo Kinder bei der Geburt geraubt wurden.«
»Und? Was geschah mit ihnen?«
»Sie kamen woanders unter. Zauberer oder Schamanen zogen sie auf und lehrten sie ihr Wissen. Manche sind zu Voodoo-Priestern herangewachsen, aber wie gesagt, das passierte bei uns auf der Insel. Hier wird so etwas kaum möglich sein.«
»Das weiß ich eben nicht.«
»Nein, nein, das ist…« Coco lächelte und schaute auf die Uhr.
»Himmel, ich muss mich beeilen, sonst gibt es Minuspunkte.« Sie eilte nach einem Gute-Nacht-Gruß aus dem Zimmer.
Das war vor einigen Stunden gewesen, und in der Zwischenzeit hatte Amy keinen Schlaf gefunden. Sie war wie aufgedreht! Immer wieder hatten sich ihre Gedanken um das Gespräch mit Dr. Feldman gedreht. Sie war jetzt froh, die Wahrheit zu wissen, auch über ihren Mann. Nur dass er zu einem Haufen Asche geworden war, darüber kamsie nicht hinweg. In dieser Nacht festigte sich bei ihr der Entschluss, den Ort des Geschehens irgendwann einmal zu besuchen und sich dort umzuschauen.
Allmählich hatte die Dämmerung das Krankenzimmer eingenommen. Das letzte Gezwitscher der Vögel war verstummt. Der Tag bereitete sich darauf vor, von der Nacht abgelöst zu werden, und die ersten grauen Schatten krochen lautlos durch das Fenster.
Amy Lester lag nicht flach auf dem Rücken. Sie hatte das Oberteil höher gestellt, denn nur in dieser Haltung konnte sie das Zimmer fast völlig überblicken.
Einen triftigen Grund für diese andere Sitz-Liege-Position konnte sie nicht nennen, sie musste sich da auf ihr Gefühl verlassen und das sagte ihr, dass in der Nacht noch etwas passieren könnte. Sie hatte noch nicht angefangen, sie war aber auch nicht vorbei. Lange Stunden standen ihr bevor, Dunkelheit und Stille.
Eine Nacht, die anders werden würde als die vorherigen. Trotz ihrer Furcht wartete sie auf ein bestimmtes Ereignis, von dem sie nicht sagen konnte, was es war und wann es eintreten würde. Es würde kommen, vielleicht vor der Tageswende, möglicherweise danach.
Alles lag noch in der Schwebe.
Die lange Zeit des Wartens begann. Amy stellte fest, dass sie sich selbst belauerte. Sie fürchtete sich und hoffte zugleich. Etwas kroch auf sie zu, es befand sich schon in der Nähe, aber sie wusste nicht, wie sie es fassen sollte. Waren es Strömungen, Gedanken, die sich in das Zimmer hineingestohlen hatten?
Fremde Schatten, unheimliche Gespenster, die über den Boden huschten.
Amy zwinkerte.
Da hätte sich tatsächlich etwas bewegt. Gar nicht mal weit von ihrem Bett entfernt.
Ein Schatten, der durch einen in der Nähe des Fensters stehenden Baum fiel. Wind, der die Blätter bewegte und sie über den Boden tanzen ließ. Geisterhaft, lautlos, in ihrem Fall schon, denn sie fing an, sich zu fürchten.
Ihr wurde kalt.
Es war kein Grund vorhanden. Sie saß im Bett, und von den Füßen her zog etwas hoch.
Eine schreckliche Vorstellung geisterte durch ihren Kopf. Als Kind hatte sie von der Mutter erfahren, dass Menschen, bevor sie starben, allmählich kalt wurden.
Das begann zumeist bei den Füßen, es kroch höher und höher, erreichte die Knie, die Schenkel, wanderte auf die Brust zu, um schließlich das Herz zu umklammern.
Dann war es aus!
Vorbei.
Da schlug der Tod mit seinen kalten Krallen zu. Und genau davor hatte Amy Angst.
Noch waren nur die Füße kalt. Zahlreiche Spinnen schienen mit dünnen Beinen aus Eis an ihr hochklettern zu wollen, um den gesamten Körper in Besitz zu nehmen.
Wer wollte sie töten?
Wer steckte dahinter?
Sie fing an zu zittern, zog die Beine an, schleuderte die Decke weg, weil sie ihre Füße massieren wollte. Vielleicht war es doch nicht so schlimm, waren alles nur Märchen oder Sagen, die sie früher gehört hatte – jedenfalls merkte sie, wie die Kälte plötzlich verschwand und genau dem Gegenteil Platz schuf.
Amy begann zu schwitzen.
Diesmal nicht an den Füßen, sondernweiter oben im
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