0814 - Mister Amok
lassen, das steht fest.«
Sir James winkte ab. »Noch ist alles in der Schwebe«, erklärte er.
»Ich erwarte einen Anruf. Danach sehen wir weiter. Noch etwas, Gentlemen. Sie müssen sich darauf einstellen, ihm allein gegenüberzustehen. Sie zwei gegen ihn.«
Mein Grinsen fiel säuerlich aus. »Dashaben wir uns beinahe gedacht, Sir. Wichtig ist, dass wir…«
Diesmal unterbrach mich das Telefon. Zu dritt saßen wir für einen Moment bewegungslos. Für uns war es zu sehen, wie Sir James den Speichel schluckte. Er wischte über seine Stirn. Selten hatten wir ihn so nervös gesehen. Nach dem dritten Tuten hob er ab.
In den nächsten Minuten hörte er zu, machte einige Notizen, stellte den Lautsprecher allerdings nicht ein. Wir konnten die Stimme des Anrufers zwar hören, doch leider nicht verstehen, was er sagte.
Dafür sprach unser Chef. »Sind Sie sicher? Haben Sie sich nicht getäuscht?«
»Nein!«
Die Antwort hörten wir sogar.
»Das… das unmöglich …« Sir James stellte die Mithöranlage ein.
Wir spitzen unsere Ohren. Die Stimme klang neutral und irgendwo auch blechern. »Das haben wir uns auch gedacht. Nur gibt es keinen Zweifel. Er hat sich die Tarnung aufgebaut, und er muss dies schon seit längerer Zeit getan haben. Er führt zwei Leben. Zeit genug hat er dafür.«
»Ist schon gut.«
»Wir sind zwar in der Nähe, aber wir werden nicht eingreifen. In den nächsten Tagen überlassen wir alles Ihren Leuten, Sir James. Wünschen wir uns, dass wir Glück haben.«
»Ja, das gebe Gott«, flüsterte Sir James. Der Superintendent atmete keuchend aus, als läge eine gewaltige Last auf seinem Brustkorb. Er tupfte mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn, räusperte sich und schaute uns sehr ernst an.
»Es ist unglaublich, aber ich muss diesen Leuten glauben. Sie haben sich nicht geirrt.«
»Wobei nicht geirrt?« fragte ich.
»Sie haben ihn erwischt. Sie wissen, wo er sich aufhält. Und er benimmt sich wie ein normaler Mensch. Das heißt, er hat sogar einen Beruf, dem er nachgeht.«
»Welchen denn?«
»John – er ist Lehrer!«
Nach dieser Antwort hatte ich den Eindruck, ins Bodenlose zu stürzen. Plötzlich war kein Stuhl mehr da, auf dem ich Halt gefunden hatte. Das Blut schoss mir ins Gesicht, und der Eindruck, wegzuschwimmen, verstärkte sich noch.
Wie aus weiter Ferne hörte ich Sukos geflüsterte Frage. »Mister Amok ist Lehrer?«
Sir James nickte. Er konnte plötzlich nicht mehr sprechen. Das hatten wir bei ihm so gut wie nie erlebt. Er musste völlig von der Rolle sein, riss sich aber zusammen.
Ich war wieder da, auch wenn sich in meinem Kopf die schrecklichen Vorstellungen tummelten. Lehrer an einer Schule. Kinder in der Hand dieser Bestie. Das konnte und durfte nicht sein. Unser Geheimdienst musste sich geirrt haben.
Hatte er das wirklich?
Ich konnte und wollte nicht so recht daran glauben. Wenn diese Typen recherchierten, dann taten sie es richtig. Dann gab es für sie kein Halten mehr.
Mister Amok war Lehrer, er unterrichtete Kinder. Ein mehrfacher Killer sollte jungen, heranwachsenden Menschen den Weg ins spätere Leben ebnen. Das war kaum zu fassen, da musste man einfach durchdrehen, und ich spürte, wie sich mein Magen allmählich umdrehte und sich verformte, als wäre er eine handgroße Rolle Stacheldraht.
»Wenn er Lehrer ist, dann muss er an einer Schule unterrichten«, sagte Suko. »Die muss irgendwo sein. Hat man Ihnen gesagt, Sir James, wo er lebt?«
»Natürlich. Nicht hier in London. Er unterrichtete in Ardley.«
»Wo ist das denn?« fragte Suko. Er schaute mich an, doch ich wusste es auch nicht.
»Die kleine Stadt liegt nördlich von Oxford. Sie müssen nicht mal weit fahren«, erklärte Sir James. »Es fällt mir nicht leicht, ich aber würde sagen: Starten Sie bitte noch heute. Ich gebe Ihnen noch den Namen der Schule. Alles weitere liegt in ihren Händen und denen des Allmächtigen…«
***
Damals
Mehr als zehn Jahre waren vergangen, und Amy Lester hatte sich eigentlich daran gewöhnt, als Witwe durchs Leben zu gehen. Ihre gesamte Liebe hatte ihrem Sohn Jake gegolten. Auch wenn es immer wieder Männer versucht hatten, die junge Frau zu heiraten, sie hatte alle Angebote abgelehnt. Sam konnte niemand das Wasser reichen.
Einen Job hatte sie auch gefunden. Sie arbeitete in eine der großen Uni-Bibliotheken als Archivarin. Die Arbeit machte ihr Spaß, sie kam mit vielen Menschen zusammen, sie hörte viel, es gab immer wieder interessante Gespräche, und die
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