0824 - Liebestanz der Totenbräute
das Haus geisterte, und Hetty konnte ihn jetzt sehen. Er trug eine weit geschnittene Kleidung, die beinahe wie der Umhang eines Vampirs wirkte. Aus den Ärmeln der Jacke schauten kräftige Hände hervor, deren Finger sehr lang, aber gleichzeitig kräftig waren. Die Nägel schimmerten wie blasse Spitzen.
Als sich der Baron bewegte, da raschelte die Kleidung leise.
Er beugte sich zu ihr herab.
Hetty konnte sich nicht rühren. Sie schwitzte und fror zugleich. Ihr Herz schlug nicht mehr normal, und sie hatte das Gefühl, als würde sich das Gesicht über ihr immer mehr vergrößern, sodass sie nichts anderes mehr wahrnehmen konnte.
Er war das personifizierte Grauen, er war der Tod, der Gestalt angenommen hatte. Nicht als Skelett mit langen Klauenfingern, sondern als düstere Erscheinung, die kein Erbarmen kannte. Seine Hände glitten auf Hetty zu. Sie rechnete damit, wieder gewürgt zu werden, doch kurz vor ihrem Gesicht spreizte der Baron die Finger und legte sie auf ihre Schultern.
Hetty holte tief Atem. Direkt blickte sie in das Gesicht. Kein Licht erfüllte das Zimmer, trotzdem sah sie die unnatürliche, unheimliche Blässe und schauerte immer wieder zusammen. Sie wunderte sich über ihren eigenen Mut, denn es gelang ihr tatsächlich, eine Frage stotternd zu stellen.
»Wer – wer bist du?«
»Ich bin der Baron. Ich bin Gulbekian. Ich hole mir meine Totenbräute, und in dieser Nacht habe ich dich ausgesucht. Heute bist du an der Reihe, Hetty Morland.«
»Was – wieso? Wo sind die anderen?«
»Bei mir«, gab er flüsternd zurück. »Ich habe sie in mein kaltes Reich geholt.«
»Tot?« keuchte Hetty. »Sind sie tot?«
»Nicht im eigentlichen Sinne. Sie sind zu meinen Totenbräuten geworden, das sagte ich schon.«
Hetty begriff es nicht. Sie wollte noch fragen, aber Gulbekian senkte ihr seinen Kopf entgegen. Sie sollte keine Fragen mehr stellen und sich einzig und allein auf sein Gesicht konzentrieren. Es war für ihn das Wichtigste.
Hetty Morland schaute hoch. Sie sah und sie roch diese Gestalt. Es war ein Geruch, den sie nicht einordnen konnte. Zuerst dachte sie an einen alten, muffigen Gestank, aber das stimmte nicht ganz. Dieser war feucht, er war gleichzeitig modrig, als hätte die Gestalt lange in der Erde gelegen.
Oder in einem Grab!
Dieser Gedanke ließ heiße Panik in Hetty hochschießen. Aus dem Grab zurückgekehrt wie ein Vampir, über den Schriftsteller schon so viel geschrieben hatten.
Ein Blutsauger!
Sie verkrampfte sich innerlich.
Ihre Lippen zuckten, die Augen hatte sie weit aufgerissen. Sie holte Luft und sah, dass sich sein Gesicht dem ihren näherte. Dünne Lippen bewegten sich, als er sprach. »Bald, wenn du in meinem Reich bist, wirst du keine Luft mehr brauchen!« versprach er ihr mit dumpfer Stimme, und gleichzeitig bildeten sich auf der Haut dünne Falten, die ein Muster wie aus Messerschnitten erzeugten.
Sein Haar war lang gewachsen. Es lag wie ein Helm auf und um seinen Kopf. Die Ohren waren nicht zu sehen, und das Haar selbst strömte ebenfalls einen modrigen Geruch aus.
Er war kein Mensch, er war ein Monster. Er war hässlich. Seine Haut wirkte wie eingefallen und sah aus, als würde sie jeden Augenblick von den Knochen fallen.
Der Baron brauchte Nahrung, er brauchte Blut!
Und er öffnete den Mund!
Nein, das war kein richtiger Mund. Es war ein Maul, groß wie ein Scheunentor. Aus der Höhle dahinter wehte ein Gestank in Hettys Gesicht, der ihr den Magen umdrehte. Aber das registrierte sie nur im Unterbewusstsein, denn etwas anderes bannte ihre Sinne.
Sie sah die beiden Zähne!
Wie leicht gekrümmte Messer wuchsen sie aus dem Oberkiefer hervor, liefen an den unteren Seiten spitz zu wie eine Nadel, die die Haut eines Menschen mit Leichtigkeit durchdringen konnte.
Doch ein Vampir!
Er röchelte ihr etwas entgegen, von dem Hetty nichts verstand.
Nur die Worte Blut und Totenbraut blieben in ihrem Gedächtnis haften. Dann ruckte sein Kopf nach unten. Er wurde dabei leicht zur Seite gedreht, damit der Mund an ihre linke Halsseite gelangen konnte.
Einen Herzschlag später spürte Hetty die ledrigen Lippen auf ihrer Haut. Die Berührung ließ sie schaudern, und sie hielt den Atem an, weil sie sich auf das vorbereiten wollte, was unweigerlich folgen würde.
Der Biss!
Zwei Zähne waren es, aber sie spürte nur einen Stich, denn der Baron hatte perfekt zugebissen.
Für einen Moment bäumte sich Hettys Körper auf. Sie merkte, wie die rote Flüssigkeit aus den kleinen
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