0825 - Böse kleine Elena
die Hand an seiner Kehle entlangführte. Eine Geste, die unmissverständlich war und von uns kommentarlos hingenommen wurde.
Dann pfiff er.
Die Arbeiter kannten das Zeichen.
Irgendjemand stellte das Transportband ab. Es schaukelten keine neuen Körper mehr in die Halle, dafür aber waren wir plötzlich der Mittelpunkt, denn vier Arbeiter hatten sich weggedreht und kamen auf uns zu. Sie trugen ihre verdammten Schlachter- und Haumesser. Die Schürzen reichten bis zum Boden. Sie waren blutbeschmiert, ebenso wie ihre Gesichter oder Kopfbedeckungen. Gestalten aus Horror-Filmen hätten nicht schauriger aussehen können.
Joschi klatschte in die Hände, als seine Kollegen nahe genug heran waren. Kurz danach begann er zu sprechen. Ich verstand ihn nicht, aber Harry Stahl konnte einigermaßen folgen, deshalb beobachtete ich auch sein Gesicht, um erkennen zu können, welche Reaktionen er auf das Gesagte zeigte.
Er lachte nicht, er lächelte nicht einmal. Er sah verkniffen aus und warf mir einen Blick zu, der so etwas wie eine Warnung beinhaltete.
»Was ist denn los?« fragte ich.
»Läuft nicht gut.«
»Wieso?«
»Sie alle haben Elena gekannt.«
»Die vier Typen und Joschi?«
»Das ist richtig.«
»Und weiter?«
»Sie scheinen nicht gut auf sie zu sprechen zu sein. Irgendwas ist passiert. Ich glaube, sie sind, wenn ich es mal positiv ausdrücken darf, reingelegt worden. Ich hoffe nicht, dass wir für Elena die Zeche zahlen sollen.«
»Mal abwarten.«
Joschi war mit seiner Rede fertig, und die vier Typen rückten noch dichter an uns heran. Joschi grinste bösartig. »Sie war hier«, sagte er. »Ja, sie war hier. Wir alle kennen sie, und wir alle wissen, dass Menschen gestorben sind. Zwei Frauen, ein Mann, ein kleines Kind. Nur weil sie hier war.«
»Daran hat doch nicht Elena die Schuld?« sagte Harry. Er regte sich über soviel Dummheit auf, aber Joschi ließ sich nicht beirren.
»Doch, sie allein trug die Schuld. Sie war eine Verfluchte, eine Hexe. Sie war jemand, die mit dem Satan im Bunde stand. Sie kam und hat getötet, und man hat geschworen, dass alles, was auf sie hindeutet, vernichtet werden soll. Versteht ihr?«
Joschi hatte nicht nur Deutsch gesprochen, sondern zwei Sprachen miteinander vermischt. Ich hatte ihn trotzdem begriffen, und mir war alles andere als wohl.
»Na…?«
Harry hob die Hände an. »Soll das heißen, dass ihr uns die Schuld geben wollt?«
»Nichts soll mehr an Elena erinnern. Sie hat Leid gebracht. Sie stammte vom fahrenden Volk und wurde sogar von ihm verstoßen. Überall hinterließ sie ihre Spuren. Leid, Blut und Tod. Aber das ist vorbei. Niemand soll auch nur noch ihren Namen erwähnen.«
»Kanntest du sie auch?«
»Ja.«
»Was hast du mit ihr gemacht?«
Joschi grinste. »Sie war schön, sehr schön. Schön wie die Sünde, und ich habe gesündigt.«
»Tat sie dir denn nichts?« fragte Harry.
»Nein, mir nicht. Ich war es aber, der sie gejagt hat. Wir haben sie aus dem Ort getrieben, wir wollen nicht, dass sie noch einmal zurückkehrt, wir wollen überhaupt nicht mehr an sie erinnert werden. Und wir hassen Fremde wie euch. Deshalb werden wir euch eine Lektion erteilen und…«
»Umbringen?« fragte Harry.
»Nicht ganz. Aber ihr werdet an uns denken. Ihr werdet an die Haken gehängt werden und wie Vieh durch die Halle geschoben. Ich werde euch meinen Leuten überlassen. Ihre Messer sind verdammt scharf. Und wenn wir mit euch durch sind, dann werdet ihr kaum anders aussehen als die toten Tiere hier. Das ist…«
In diesem Augenblick hörten wir den Schrei.
Grell und wütend!
Keiner von uns hatte ihn ausgestoßen. Auch niemand, der weiter entfernt stand. Er war in unserer Nähe aufgeklungen, gewissermaßen zu unseren Füßen.
Ich war der Erste, der zu Boden schaute. Aber auch die anderen blickten genau auf den bestimmten Gegenstand.
Es war meine Aktentasche!
***
Selbst Joschi, der nicht auf den Kopf gefallen war, brachte kein Wort mehr hervor. Er stand da und sah aus, als würde er frieren. Sein Gesicht nahm die berühmte Totenblässe an, und als er den Finger ausstreckte, um auf die Tasche zu zeigen, da zitterten seine Lippen, bevor er eine Frage stellen konnte. »Was ist das?«
Wir schwiegen. Harry schaute mich an, ich ihn, dann nickte mir der Detektiv zu.
»Was ist das?« schrie Joschi. »Was hast du uns da mitgebracht, du verdammter Hundesohn?«
»Willst du es sehen?« Joschi sah aus, als wollte er mir ins Gesicht schlagen. »Ja, verdammt, ich will es
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