0825 - Böse kleine Elena
nicht.«
»Ich auch nicht, aber er hat doch etwas damit bezweckt. Er gab dir zehntausend Mark. Das ist verdammt viel Geld. Und ich glaube nicht, dass er es dir wegen deines Aussehens gegeben hat.«
»Nein«, erwiderte Harry und grinste dabei, »da hätte ich noch etwas zuzahlen müssen.«
»Ja, vielleicht.«
»Du siehst auch nicht besser aus.«
»Ein Mann hat eben innere Werte.«
»Stimmt.«
Wir wurden wieder ernst. »Ich sage dir, Harry, dass Scott sich etwas dabei gedacht hat.«
»Klar, ich soll den Körper seiner Tochter finden.«
»Mehr nicht?«
Er hob die Schultern. »Dann bist du schlauer als ich. Zumindest hat man mir nichts mitgeteilt. Das kann sich natürlich ändern, wenn wir das nächste Ziel erreicht haben, aber irgendwo müssen wir ja den Ort finden, wo der Körper liegt.«
»Ein Totenschädel und ein Torso«, murmelte ich. »Was hat diesen Mann nur zu diesem Auftrag getrieben? Ein schlechtes Gewissen?«
»Der?« Harry lachte. »Nein, ich kenne die Menschen. Zehntausend Mark und ein schlechtes Gewissen. So etwas sehe ich nicht ein.«
Ich hob die Schultern, hatte schon nachgedacht und sagte mit leiser Stimme. »Ich denke, dass der Fall komplizierter ist, als wir angenommen haben. Wenn wir die Fakten vergleichen, dürfen wir uns eigentlich nicht auf das verlassen, was dir dein Auftraggeber gesagt hat.«
Harry runzelte die Stirn, als er nachdachte und dann trotzdem eine Frage stellte. »Worauf willst du hinaus, John?«
»Ich frage mich, ob das überhaupt der Schädel der Elena Scott ist, den wir hier transportieren.«
»Natürlich.«
»Bist du davon so überzeugt?«
»Immer«, sagte Harry und nickte.
»Da musst du dich aber auf die Aussagen eines gewissen Wilbur Scott verlassen.«
»Warum sollte er lügen?«
»Warum sollte der nicht lügen?«
Harry Stahl ballte die Hände zu Fäusten und schlug damit gegen das Armaturenbrett. »Verdammt, John Sinclair, du bringst mich mit deiner Rederei völlig aus dem Konzept.«
»Das war nicht meine Absicht.«
»Du hast es aber getan.«
»Ich wollte es wirklich nicht. Ich wollte nur, dass du anfängst, nachzudenken, und nicht alles glaubst, was man dir erzählt hat. Auch wenn es dein Auftraggeber ist. Der hat dich doch einfach losgeschickt, um für ihn die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Nicht mehr und nicht weniger. Was tatsächlich dahintersteckt, das weißt du ebenso wenig wie ich.«
»Was vermutest du denn?«
»Eine riesige Schweinerei.«
»Ist mir zu wenig, John. Du gehst also davon aus, dass wir nicht Elenas Schädel transportieren?«
»Ich habe nur von einer Möglichkeit gesprochen. Hast du Scott eigentlich gefragt, woher er diesen Schädel hat? Wie ist es ihm möglich gewesen, in seinen Besitz zu gelangen? Das wird bestimmt nicht einfach für ihn gewesen sein.«
»Elena war doch seine Tochter, sein einziges Kind. Er hat es großgezogen nach der Trennung und dem Selbstmord der Mutter.«
»Die eine sehr geheimnisvolle Person gewesen sein muss, nehme ich mal an.«
»Das stimmt allerdings.«
»Und schon wird die ganze Sache wieder kritisch. Auch von ihr wissen wir nichts. Wir wissen nicht einmal wenig, sondern gar nichts. Oder kennst du ihren Namen?«
»Nein.«
»Eben.«
»Du bringst mich durcheinander, John.«
»Gut, dann schlage du etwas vor!«
»Wir fahren jetzt den nächsten Ort an, der auf der Liste steht.«
»Wie heißt er?«
»Roudnice, und er liegt nicht sehr weit von hier entfernt. Erst später sind die Entfernungen größer geworden, doch ich habe das Gefühl, dass wir gar nicht mehr so weit fahren müssen. Irgendwie hat sich schon jetzt alles verdichtet.«
»Das stimmt«, sagte ich und lächelte.
Harry Stahl drehte den Zündschlüssel und lauschte auf den ruhigen Lauf des Motors. »Schön, dass wir diesmal einer Meinung sind.«
»Sind wir das sonst nicht?«
»Ich schweige lieber…«
***
Unser nächstes Ziel lag tiefer innerhalb des Landes. Die Grenze war weiter entfernt und damit auch die Hektik, die sich in ihrer unmittelbarer Umgebung immer wieder auf tat. Wir hatten uns noch keinen Plan zurechtgelegt, wie wir vorgehen wollten, aber wir waren gewarnt. Noch einmal wollten wir nicht riskieren, dass uns die Kraft des Schädels überraschte.
Es war zwar noch kein Abend, aber die Dunkelheit lag bereits über dem Land. Mitte Oktober wird es schon früh finster, hinzu kam das trübe Wetter. Der Dunst wurde oft sehr dicht, wenn wir feuchte Gebiete durchfuhren. Mit Straßenschildern sah es nicht eben großartig
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