083 - Das Gasthaus an der Themse
weiß nichts über sie«, antwortete sie mit großer Entschiedenheit. »Ich halte mich aus allem raus und kümmere mich um meine Angelegenheiten. Es ist schwer genug, sich seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, warum sollte ich mir den Kopf darüber zerbrechen, was andere tun? Die Hälfte lügen ohnehin die Zeitungsschreiber zusammen, die Presse druckt doch alles, nur um mit einer Sensation aufwarten zu können.«
»Wie war's mit einem kleinen Geschäft, Oaks?« »Ich will mal nachsehen, was das Mädchen macht«, sagte sie, stand auf und verließ das Zimmer. Nach wenigen Minuten war sie wieder da und schloß die Tür hinter sich ab. Sie ging zum Kamin und rollte den Teppich zusammen. Mit einem kleinen Schürhaken hob sie ein unregelmäßiges Teil des Parketts her aus. Darunter lag ein Stück Filz, und als sie es wegnahm, kam eine schwarze stählerne Falltür zum Vorschein. Sie maß ungefähr dreißig Zentimeter im Quadrat und hatte ein Patentschloß. Mutter Oaks schloß auf und hob die schwere Tür nur mit Mühe hoch. Das Stahlfach darunter war wesentlich größer als die Öffnung. Mutter Oaks tastete darin herum und holte etwa ein halbes Dutzend kleiner Leinenbeutel heraus, die sie Lane reichte. Er legte sie auf den Tisch unter dem Milchglasfenster und öffnete sie vorsichtig. »Das ist billiges Zeug«, sagte Mutter Oaks, als er den ersten Beutel entleerte, der verschiedene Schmuckgegenstände enthielt — unter anderem billige Ohrringe und große, protzige Broschen aus minderwertigem Gold. »Der Beutel mit der roten Verschnürung ist der beste.«
Er musterte die Sachen geringschätzig und knüpfte dann das rote Band auf. Der Beutel enthielt wirklich ein paar schöne Stücke: einen Smaragd von zehn Karat, einen Brillantring, eine Halskette, einen Anhänger und fünf große Perlen. Lane betrachtete sie interessiert. »Die Kette ist wahrscheinlich gerissen, als die Besitzerin sich von ihr trennen mußte?« vermutete er.
Mutter Oaks schüttelte den Kopf und preßte die dünnen Lippen zusammen. »Ich stelle keine Fragen«, antwortete sie. »Ich weiß nicht, woher die Sachen kommen. Wenn der Preis stimmt, kaufe ich. Wer keine Fragen stellt, bekommt auch keine Lügen zu hören, sage ich immer.« Er betrachtete eine der Perlen durch eine kleine Lupe.
»Die hier werfen Sie am besten gleich ins Feuer. Sie ist gekennzeichnet und würde überall erkannt.« Gehorsam warf sie die Perle, die einen Wert von sechs-bis siebenhundert Pfund haben mochte, in die Flammen. Sie widersprach Raggit Lane nicht, da sie aus Erfahrung wußte, daß sie sich auf sein Urteil verlassen konnte. Er irrte sich nie. Er traf seine Auswahl, steckte die Schmuckstücke in die Tasche und gab »Mutter« den Rest zurück. »Das Gold ist nicht viel wert«, sagte er. »Es lohnt kaum, es einzuschmelzen. Ich würde das Zeug im Fluß versenken.«
Mutter Oaks seufzte. »Das ist die reinste Verschwendung«, jammerte sie, »aber Sie wissen es am besten ...«
Jemand klopfte laut an die Tür, und sie fuhr erschrocken hoch.
»Wer ist da?« fragte sie schrill.
»Ich würde gern ein paar Worte mit Ihnen reden, Mrs. Oaks.«
Es war die Stimme des Inspektors Wade. Mutter Oaks verzog keine Miene. »Wer ist ›ich‹?« fragte sie. »Inspektor Wade.« »Einen Augenblick.«
Schnell raffte sie die Päckchen zusammen, warf sie in den Safe, schloß ihn ab, legte Filz und Parkett wieder an Ort und Stelle und rollte den Teppich darüber. Lane hatte inzwischen den großen Schrank am anderen Ende des Raumes geöffnet, war hineingestiegen und hatte die Tür hinter sich zugezogen.
Mutter Oaks warf einen Blick in den Kamin, stocherte mit dem Schürhaken nach einem rotglühenden Kügelchen, das einmal eine Perle gewesen war, und öffnete dann die Tür. »Kommen Sie rein, Inspektor«, sagte sie kühl. Wade betrat das Zimmer und sah sich rasch um. »Tut mir leid, in Ihre Bibelstunde hineinzuplatzen«, sagte er. »Ich habe die Strümpfe gewechselt, wenn Sie's unbedingt wissen wollen«, antwortete Mutter Oaks bissig. »Aber, aber, etwas so Unanständiges will ich gar nicht hören!«
Er schnupperte. »Heimlich ein bißchen geraucht, wie? Wie unartig! Sie sind ziemlich unvernünftig für Ihr Alter.« Mutter Oaks unterdrückte ihren Zorn. »Was wollen Sie?« erkundigte sie sich.
Der Inspektor antwortete nicht und sah sich bewundernd um.
»Ein reizendes Zimmer«, sagte er. »Das Boudoir der gnädigen Frau. Und ägyptische Zigaretten rauchen Sie auch - das ist schlecht fürs
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