083 - Morkans Horrorwürmer
kleines U-Boot, das er ausschlachtete. Monatelang war er dann
allein in der Tiefsee unterwegs. Die Einsamkeit und Verlorenheit dieser Welt
bedrückte ihn eigenartigerweise jedoch nicht, wie dies andere Forscherkollegen
im vertraulichen Gespräch immer wieder hatten durchblicken lassen. Die
Einsamkeit der Tiefsee kam Morkans Naturell im gewissen Sinn entgegen. Er hatte
keine Erklärung dafür. Er liebte die Tiefe und wollte alles über das Leben dort
in den lichtlosen Gefilden kennen lernen, es erforschen und begreifen...
Die
Taucherkugel, die die Bezeichnung Phase Zwei trug, schwebte an dem
aufgeworfenen Meeresboden vorüber und kam in ein dunkles, tief sich absenkendes
Tal. Der Boden veränderte Form und Farbe und wurde felsiger. Die gewaltigen
Schluchten und Abhänge gehörten zu den Anden der
Tiefsee. Sicher lenkte Morkan die Kugel, die mit zwei starken Elektromotoren
ausgerüstet war, durch die unterseeische Bergwelt. Eine gewaltige Schlucht,
deren Grenzen selbst die starken Scheinwerfer nicht ausleuchten konnten, lag
unter ihnen. Morkan hielt die Position bei. Die beiden Männer, die mit ihm die
Reise in die Tiefe gemacht hatten, waren mit den Instrumenten und der Steuerung
der Kugel bestens vertraut. Metzhan und Julio hielten die Armaturen im Blick,
sorgten für die Stabilisierung der Kugel, die sich durch zwei gleichzeitig zu
bedienende Hebel millimetergenau steuern ließ und die ihre Feuerprobe in
zahlreichen Einsätzen bisher blendend bestanden hatte.
Die
Kugel hatte eine Tiefe von zweitausendzweihundert Metern erreicht.
»Noch
vierhundert Meter... geht tiefer«, sagte Carlos Morkan wie beiläufig, ohne den
Blick zu wenden. Das grünliche, schwache Licht im Innern der Taucherkugel schuf
eine geisterhafte Atmosphäre und veränderte das Aussehen ihrer Haut. Die
Position stimmte genau. Die Kugel sank in die riesige Schlucht zwischen zwei
unterseeischen Bergen ab. Die Scheinwerfer waren jetzt alle so ausgerichtet,
dass sie den Boden unter ihnen voll ausleuchteten. Aber Untergrund war bisher
nicht auszumachen. Morkan nahm das Mikrofon der Funkanlage aus der Halterung.
»Hier Phase Zwei. Hallo, Itzhak, kannst du mich hören?« Er rief seinen dritten
Vertrauten und Mitarbeiter, der an Land in dem kleinen alten Haus auf der
Landzunge zurückgeblieben war. Zwischen Haus und Taucherkugel lag eine
Entfernung von mehr als zweihundert Kilometern. Das Funkgerät in Morkans Haus
am Meer schlug an. Itzhak, ein kleiner, dicker Mann mit schulterlangem Haar und
brauner Haut, hörte die ferne, durch atmosphärische Störungen untermalte
Stimme. Er schaltete auf Sendung und antwortete auf den Ruf des
Wissenschaftlers.
»Hier
spricht Itzhak. Ich kann Sie sehr gut verstehen, Señor Morkan...«
»Ausgezeichnet.
Dann kann’s ja losgehen...«, klang die verzerrte Stimme wieder aus dem
Lautsprecher. »Wir erreichen in wenigen Minuten unsere Position, Itzhak. Hast
du alles vorbereitet?« Der Indianer wandte unwillkürlich den Kopf. Der Raum, in
dem die Funkapparatur installiert war, zeichnete sich durch zwei Besonderheiten
aus: er lag zwei Stockwerke unter dem Parterre und zwei Treppenstufen führten
nochmals nach unten auf ein riesiges Glasbecken zu, das mit Meerwasser gefüllt
war. Schummriges Licht herrschte und jenseits der Panoramascheibe, die
scheinbar einen Blick in das Meer vermittelte, schwammen riesige Würmer.
Sie
waren etwa armdick und gut zwei Meter lang. Die Würmer sahen aus wie
abgeschnittene und an beiden Enden wieder zusammengewachsene Schläuche.
Schwimmende Därme, ohne Kopf, Augen und Maul. Sie konnten keine Nahrung
aufnehmen und lebten doch. Sie waren aus mehr als zweitausend Metern Tiefe in
dieses künstlich geschaffene Aquarium gebracht worden, um ihre Lebensäußerungen
und ihr Verhalten besser studieren zu können. Lautlos und behäbig glitten die
Wesen der Tiefsee durch das Aquarium, das noch unterhalb des Meeresspiegel lag
und durch ein absperrbares Ventil mit Wasser gefüllt worden war. Der Boden war
glatt und fugenlos. Er wies nicht die kraterähnlichen Löcher auf, die Carlos
Morkan auf dem Meeresgrund entdeckt hatte und die den Würmern als
Aufenthaltsort und Unterschlupf dienten.
In
die Wände des Beckens, in dem rund zehntausend Liter Wasser lagerten, waren
Lampen eingelassen, deren Lichtausbeute stufenlos geregelt werden konnte. Außer
den natürlichen gelösten Stoffen, die das Meerwasser enthielt, gab es darin
weder Fische noch Pflanzen. Von dem Raum aus, in dem Itzhak vor
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