0830 - Das Vampirloch
Ruck, glich den Anfahrtstoß des Zugs aus, öffnete die Augen und sah ihn.
Es war der Mann vom Bahnsteig, der nun nicht neben, sondern vor ihr stand und sie direkt anschaute. Der Blick seiner dunklen Augen tastete über ihr Gesicht, und wieder zeigte sich ein Lächeln auf seinen Lippen, das Glenda irritierte.
Dieses Lächeln paßte ihr überhaupt nicht. Es war ihr einfach zu wissend, zu kalt, und es ging ihr unter die Haut. Den Mann kannte sie nicht, sosehr sie auch versuchte, sich zu erinnern. Nein, das Gesicht hatte sie nie zuvor gesehen. Der erste Eindruck einer gewissen Unsicherheit verschwand, und bei Glenda siegte plötzlich die Neugierde. Dieser Mann wollte ihr nichts Böses, er war ihr fremd, das stimmte, gleichzeitig aber auch irgendwo vertraut, und Glenda saugte die Luft scharf durch die Nasenlöcher ein.
»Ich heiße Eddy Figueras!« Er sprach gegen das Rattern der Wagen an und nickte.
»Ich kenne Sie nicht.«
»Du solltest mich aber kennen.«
Der vertraute Ton gefiel Glenda nicht, aber sie konnte nichts dagegen unternehmen. Okay, sie hätte den Platz verlassen und tiefer in den Wagen gehen können, das aber wollte sie auch nicht, und sie fragte mit leiser Stimme: »Was soll das?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
»Nein.«
»Spürst du es nicht?«
Glenda blieb noch gelassen. »Was sollte ich denn spüren?«
Er antwortete mit einer Frage. »Schmeckst du es nicht?«
»Was denn?«
»Blut!« zischelte Figueras. »Das Blut, das ich gerochen habe. Das Blut, das mich auf die Spur brachte. Ja, ich bin da. Ich bin gekommen, ich bin erschienen, ich habe gesucht, und ich wußte, daß ich nicht der einzige bin. Wie heißt du?«
»Glenda Perkins.«
»Gut, Glenda, gut. Wir gehören zusammen. Wir zählen zu dem auserwählten Kreis der Menschen, die den Weg finden werden. Und am Ziel wird uns alle Herrlichkeit des Blutes erwarten. Bisher haben wir nur eine Kostprobe nehmen können, aber wenn wir einmal dort sind, können wir uns darin baden. Man wird uns erwarten.«
»Wer wird das sein?«
»Ich kenne keinen, ich weiß so viel wie du.«
»Das Vampirloch?«
»Ja.«
Glenda räusperte sich. Der Zug fuhr bereits in die nächste Station ein und bremste schüttelnd ab.
»Wie hast du mich gefunden, Eddy? Woher wußtest du, daß auch ich dazugehöre?«
»Gespürt habe ich es, meine Liebe, nur gespürt. Alles andere ist unwichtig. Mich trieb es in diese Station hinein, und da war ich plötzlich nicht mehr allein.« Er faßte nach ihrer Hand. »Du bist so etwas wie eine Schwester für mich. Wir sind beide daran interessiert, das Vampirloch zu besuchen. Es ist die Spur des Blutes, die uns führt. Es ist unsere Gemeinsamkeit.«
Glenda zog ihren Arm nicht zurück. Sie wollte lächeln, es fiel ihr schwer, denn nur die Mundwinkel zuckten. Ein leichtes Räuspern sorgte für eine freie Kehle, und wieder drückte eine regelrechte Blutwelle in ihren Mund hinein.
Es war ihr nicht aufgefallen, daß sie schon wieder fuhren. Eddy hatte seinen Standort gewechselt. Er hielt sich jetzt dicht neben ihr auf und preßte seinen Körper gegen den ihren. »Wir werden es gemeinsam durchstehen und durchleben, Glenda.«
Sie nickte und fragte dann: »Weißt du denn, wo du das Vampirloch finden kannst?«
»Der Geruch wird uns führen.«
»Ja, ich hoffe.«
Eddy lachte ihr leise ins Ohr. »Du kannst es auch nicht abwarten, wie ich sehe. Ich will das Blut endlich dort sehen, wo es sich auch befindet. Ich will zu der Quelle hin, kannst du das denn nicht verstehen? Es ist unser Schicksal, es ist einfach unsere Bestimmung, Glenda. Wir und sicherlich auch einige andere.«
»Ja, das sehe ich so.«
»Du kannst und mußt alles vergessen. Deinen Beruf, deine Freunde und Bekannten. Es gibt einfach ein anderes, ein neues Ziel für uns. Mitten in Soho wird das Blut kochen.«
Glenda Perkins lächelte. Diese Worte machten ihr überhaupt nichts aus, im Gegenteil, sie fühlte sich davon beflügelt, und sie gab auch zu, daß Eddy recht hatte. Er sprach genau das aus, was sie dachte, und gemeinsam waren sie sicherlich stärker, da verlor sich die Unsicherheit des anderen.
Den Rest der Strecke über schwiegen sie. Hielten sich nur fest und waren versunken in ihren eigenen Gedanken. Aber an der entsprechenden Station stiegen sie aus.
Auch am Tage war der Soho Square überflutet, da spielte auch das schlechte Wetter keine Rolle.
London war im Prinzip immer eine Reise wert, das wußten auch die Touristen vom Festland.
In der Oberwelt hielten
Weitere Kostenlose Bücher