0831 - Leichen frei Haus
Todes.
Jetzt standen sie in der tiefen Stille. Nur das Summen der Heizungsanlage war zu hören, aber darauf achtete keiner.
Iris Long zog das rechte Bein an. Die Schuhsohle stemmte sie gegen die Wand, und den Kopf hatte sie so weit zurückgelehnt, daß er an der Rückseite die Wand berührte. Der Blick ihrer Augen war etwas verdreht und gegen die Decke gerichtet, und sie setzte mehrmals zum Sprechen an, bis sie die Worte hervorbrachte.
»Ich weiß es einfach nicht«, sagte sie. »Ich weiß es nicht, wie ich hier zurechtkommen soll.«
»Warum nicht?«
»Tut mir leid, aber…«
»Es ist doch ganz klar, Iris.« Shephard wunderte sich selbst, daß er so sprechen konnte, als wäre nichts geschehen. Er sah die gesamten Dinge jetzt mehr aus einer rationalen Sicht. »Wir haben es mit Leichen zu tun, die keine sind.«
Iris senkte den Kopf und schüttelte ihn. »Soll ich jetzt darüber lachen, oder was?«
»Bestimmt nicht.«
»Gut, du siehst es als eine Tatsache an. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ebenfalls so zu denken. Nur frage ich mich, wie es dazu kommen konnte. Ich denke nach, ich versuche, mich anzustrengen, aber bitte sehr, ich finde keine Erklärung. Da mußt du mir helfen, und ich hoffe für uns beide, daß du es kannst.«
»Nein.«
Iris Long ließ eine kleine Pause verstreichen. »Du hast nein gesagt, also kennst du dich nicht aus.«
»Stimmt.«
»Du willst es auch nicht.«
»So ist es, Iris«, sagte er leise. »Wenn ich darüber nachdenke, würde ich verrückt werden. Ich habe mich entschlossen, es zu akzeptieren. Verstehst du?«
»Darf ich konkret werden?« fragte sie mit leiser Stimme.
»Gern.«
»Du hast dich damit abgefunden, die lebenden Leichen, diese… diese… Zombies, zu akzeptieren, nicht wahr?«
»Richtig.«
»Und du möchtest auch nicht nachfragen, denke ich.«
»Auch richtig. Es brächte mir nichts. Ich würde mich nur selbst verrückt machen, wenn ich alles aufwühle und vielleicht nach Lösungen suche. Du bist zwar Ärztin, ich bin Ingenieur, aber beide sind wir letztendlich Naturwissenschaftler und sind es deshalb gewohnt, Fragen zu stellen, um herauszufinden, wie etwas funktioniert und was hinter der ganzen Sache steckt.«
»Ja«, murmelte sie, »das stimmt schon, aber trotzdem macht es mich fast wahnsinnig.«
»Würde es mich auch machen.«
»Leben ist Leben, Alvin. Der Tod ist der Tod. Ich kann nicht begreifen, wie sich das Leben mit dem Tod mischen soll und wir zu dem paradoxen Begriff untotes Leben kommen. Das schaffe ich einfach nicht, das geht mir zu weit.«
»Ich weiß es.«
»Soll ich dir noch etwas sagen?«
»Du mußt sogar reden!«
»Wenn ich richtig informiert bin, dann irren diese Untoten doch nur umher, um sich auf die Suche nach Menschen zu machen. Menschen, die sie töten und dann sogar…« Sie schluckte und brachte das letzte Wort nicht über die Lippen.
»Du meinst verspeisen?«
»Hör auf, aber es stimmt. Das habe ich in einem Film gesehen. Ich war damals noch Studentin und bin eigentlich nur zufällig in diesen Film hineingeraten. Wir waren eine Gruppe, und der Gang ins Kino wurde als Mutprobe hingestellt. Gut, ich wollte nicht feige sein, heute denke ich anders darüber. Da wäre ich gern feige gewesen, denn die Erinnerungen sind geblieben. Sie lassen sich einfach nicht löschen. Sie haben die Bilder in meinem Kopf geformt, und nichts aber auch gar nichts wird sie verdrängen können. In der letzten Nacht schon, als wir den ersten realen Horror erlebten, da stiegen diese Bilder wieder so verdammt plastisch vor meinen Augen auf. Da erinnerte ich mich wieder, und ich stellte mir sogar eigene schreckliche Szenen vor, wie ich gejagt werde, wie ich nicht mehr entwischen kann und die Untoten über mich herfallen und mich erschlagen.«
»Ja, Iris, ja, ich kann es mir vorstellen, daß du so gedacht hast. Aber wir wollen realistisch bleiben.«
»Eben.«
»Mir hat der Ton deiner Antwort nicht gefallen, Iris, denn ich meine es anders. Was du gesehen hast, war Film, das lief nach einer bestimmten Dramaturgie ab. Ich aber sehe es anders, ganz anders. Gehen wir doch mal davon aus, daß es im Prinzip gleich ist, aber es ist trotzdem anders, Iris. Wer sagt uns denn, daß sich die lebenden Leichen noch in diesem Komplex aufhalten?«
Die Augen der Ärztin zeigten Erstaunen, als sie in das Gesicht des Mannes blickten. »Moment mal, Alvin. Willst du damit sagen, daß alles nicht so ist?«
»Im Prinzip natürlich nicht. Aber ich sage dir, daß wir umdenken
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