0834 - Shaos Ende?
Antwort. Ich ging auf Nummer Sicher und drehte die Kette so, daß mein Kreuz am Rücken hing und nicht mehr vor der Brust. Ich erhielt die Gelegenheit, mich umzuschauen, ohne allerdings viel erkennen zu können.
Tatjana war mit mir schräg in den dunklen Himmel aufgestiegen. Wir jagten durch das dichte Wolkenmeer, so war mir der Blick zu Boden genommen worden. Um mich herum sah ich nichts anderes als düstere Watte.
Wir turnten und flogen durch die Wolken, und ich merkte, wie die Hexe damit anfing, den Besen in einen Kreis zu legen, als wollte sie Zeit gewinnen, um nachdenken zu können.
Das gefiel mir nicht. »Kann es sein, daß es der falsche Weg ist?« schrie ich ihr ins Ohr.
»Nein, es ist der richtige.«
»Wie kommen wir zum Ziel?«
»Was willst du dort?«
Ihre Haare kitzelten mich im Gesicht. Sie störten mich auch beim Sprechen, und ich spie sie zur Seite. »Ich will Suko!«
»Es ist eine andere Welt!«
»Das weiß ich.«
»Nicht für dich!«
»Bring mich hin!«
Tatjana hockte auf dem Besen. Sie beherrschte ihn meisterlich, drehte sich auf diesem schmalen Stück um, damit sie mich anschauen konnte. Ich sah sogar die Lichter in ihren Augen tanzen und den in die Breite gezogenen Mund.
»Willst du wirklich in seine Welt eintauchen?«
»Darauf warte ich.«
»Es regiert der Teufel!«
»Auf ihn freue ich mich besonders. Er hat dir den Besen überlassen. Du wirst damit die Grenzen überwinden können. Ich kenne die Dimensionen der Finsternis, und es macht mir nichts aus, sie zu betreten. Habe ich mich verständlich genug ausgedrückt?«
»Das hast du.«
»Dann heize ihm ein!«
Noch einmal starrte sie mir in die Augen, dann drehte sie sich um, und ich hörte ihre Stimme, als sie die Worte in die Wolken hineinbrüllte. Meine Hände umschlossen ihre Schultern, sie waren für mich leider der einzige Halt, und dann zuckte ihr Körper bei jedem Wort zusammen. Sie schrie.
Ich verstand nichts.
Es war eine alte Hexenformel, die auf der lateinischen Sprache basierte, wie vieles damals. Wenn mich jedoch nicht alles täuschte, war sie dabei, den Teufel anzurufen, und sie hatte indirekt Erfolg damit, auch wenn er sich nicht zeigte.
Der Besen veränderte sich an seinem hinteren Ende. Zuerst hörte ich das Knistern, drehte den Kopf und sah zwischen dem Reisig und den dürren Fingern die ersten Funken tanzen, als wollten sie das ganze Zeug in Brand setzen.
Soweit kam es zum Glück nicht.
Der Besen erhielt einen Rückstoß. Er reagierte in diesem Fall wie eine Rakete, die uns beide vorschoß, und ich hatte für einen Moment den Eindruck, körperlich zerrissen zu werden, als wäre ich in die Klammer der Teleporter gelangt.
Das war diesmal nicht so.
Ich hatte nur die Grenzen zwischen den Welten überschritten und konnte nur hoffen, später auch den Rückweg zu finden, falls ich überlebte…
***
Sollte er weinen, sollte er lachen? Sollte er vor Glück trotz der Ketten in die Höhe springen? Suko wußte es selbst nicht. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, er kam einfach nicht zurecht.
Er stand da und staunte.
In diesem Augenblick dachte er an ein Wunder, obwohl diese nur selten vorkamen und bei ihm schon gar nicht. Aber er strich über seine Augen und dann über das gesamte Gesicht, als müßte er zunächst einen Schatten wegwischen.
Tief atmete er durch.
Schwindel hatte ihn überkommen. Er merkte selbst, wie er von einer Seite zur anderen kippte, es aber noch schaffte, auf den Beinen zu bleiben. Nur sehr langsam drehte er sich um, während sich die Wände um ihn herum schnell bewegten, als wollten sie ihn aus diesem Verließ herausschleudern.
Suko konnte es einfach nicht begreifen. Es ging über sein Vorstellungsvermögen.
Wieso hatte ihn Shao gerufen?
Hatte er sich nicht doch getäuscht?
Dann sah er ihr Gesicht, aber in diesem Augenblick zeigte es sich ihm verschwommen, als wäre es hinter einem dünnen Pergamentpapier verschwunden. Suko blinzelte. Er rieb noch einmal seine Augen, als wollte er so ein anderes Bild herbeizaubern. Sein Magen revoltierte nicht, er hatte nur einen gewissen Druck erzeugt, der sich langsam der Kehle näherte, als wollte er ihm die Stimme nehmen.
Endlich verschwanden die blassen Schatten. Das Bild klärte sich. Er konnte Shao sehen, die in Ketten am Pfahl stand. Die Arme weiterhin angehoben, den Kopf noch immer zur Seite geneigt, die Augen geschlossen.
Wirklich geschlossen?
Suko kam damit nicht zurecht. Er meinte, daß sie halb geöffnet waren und Shao ihn
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