0834 - Shaos Ende?
zurückhalten wollte, doch ich überwand den inneren Schweinehund und blieb dicht bei ihm stehen.
Er hatte seine Haltung noch immer nicht verändert und hielt Shao umklammert, als könnte er sie aus dem Totenreich zurückzerren. Er weinte. Seine Schultern zuckten, der gesamte Körper bebte. Durch das starke Zittern klirrten die Glieder der Ketten gegeneinander und sorgten für eine für mich schlimme Untermalung.
Über Suko schaute ich hinweg auf Shao. Ihr Gesicht war in der oberen Hälfte so tot, so leer. Es mochte an dem kalten Ausdruck in den Augen liegen, der mich frösteln ließ. Ich konnte ihn einfach nicht mehr ertragen und drückte Shao die Augen zu.
Auch meine waren feucht geworden. Dabei heißt es, daß man immer so verdammt stark sein muß als Mann oder Held. Ich empfand es als lächerlich, denn wir alle waren keine Roboter und lebten mit Gefühlen, die man nicht ausschalten konnte.
Ich war mir nicht mal sicher, ob Suko mich überhaupt bemerkt hatte. Er sollte aber wissen, daß er nicht allein war, deshalb streckte ich die Hände nach ihm aus und berührte seinen Rücken.
Er nahm es nicht zur Kenntnis.
Ich sprach ihn an, leise, doch unüberhörbar. Auf keinen Fall wollte ich ihn erschrecken.
Suko weinte und schüttelte den Kopf, als könnte er dieses grausame Schicksal noch immer nicht fassen.
»Wir müssen hier weg!« flüsterte ich ihm zu. »Komm, Suko, ich werde dir helfen. Wir werden zurückkehren und Shao holen. Es ist das einzige, was wir für sie tun können.«
Ob er mich verstanden hatte, wußte ich nicht, jedenfalls stemmte er sich nicht gegen mich, als ich meine Hände in seine Achselhöhlen schob und ihn in die Höhe zog. Suko war schwer, durch die Ketten noch schwerer als sonst, und er unterstützte mich auch nicht bei meinen Bemühungen. Ich mußte ihn regelrecht auf die Füße stellen, wie ich es bei einem kleinen Kind getan hätte. Dann drehte ich ihn herum und sah, wie er mit einer mühsamen Bewegung die Arme hob, um nach Shao zu greifen, aber sie konnte nicht mehr reagieren.
Die Beretta hatte er verloren. Ich hob sie auf und steckte sie zurück in seinen Hosenbund. In diesem Augenblick fiel er gegen mich, und er drehte auch dabei den Kopf.
Wir schauten uns an.
Erkennen flackerte in seinen Augen. Mir kam es vor, als würde er allmählich zurück in die Wirklichkeit geholt, und mit bebenden Lippen flüsterte er meinen Namen.
»John…«
»Als ich kam, Suko, da wußte ich noch nichts. Komm jetzt, wir müssen hier weg…«
»Aber Shao…«
»Ich weiß, was mit ihr geschehen ist, ich weiß es. Wir können es nicht mehr ändern…«
Suko senkte den Kopf. Er weinte wieder, und die Gefühle schwappten wie ein gewaltiger Strom in ihm hoch.
Mit tappenden, auch schleifenden Schritten ging er neben mir her. Und wir verließen den Raum des Todes…
***
Es war für mich nicht einfach gewesen, Suko die Treppe hinauf an die Oberwelt zu schleifen. Dort, wo uns der kalte, böige Wind traf, kehrte mit ihm auch wieder die Erinnerung zurück.
Zumindest bei mir verhielt es sich so, denn ich dachte daran, daß ich diesen Weg schon in die umgekehrte Richtung gegangen war, auch nicht allein, sondern mit Tatjana, der Hexe, aber die hatte sich schlauerweise zurückgezogen, und deshalb war der Fall für mich noch nicht beendet. Ich wußte zudem nicht, wo wir uns befanden, es waren keine Lichter zu sehen, und an diesem einsamen Platz schienen wir die einzigen Menschen zu sein.
Ich führte Suko dorthin, wo wir einigermaßen vor den Böen geschützt waren. Auf einem Stein ließ er sich nieder, und wieder machte mir das Klirren der Kettenglieder klar, in welch einer Lage er sich befand. Ich besaß kein Werkzeug, um ihn von den Ketten zu befreien. Ich würde laufen und Hilfe holen müssen. Irgendwann würde ich schon auf Menschen treffen, die mich zu einem Dorf oder einer Stadt führten, aber das war noch Zukunftsmusik. Wahrscheinlich mußte ich bis zum Hellwerden damit warten. Es würde eine lange Nacht für uns beide werden. Schlimmer für Suko als für mich, denn er würde sich in seinen Erinnerungen an Shao verlieren.
Suko saß gebeugt da. Er hatte seine Ellenbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen vergraben. Ein gebrochen wirkender, geknickter Mensch, der um eine geliebte Person trauerte.
So etwas Ähnliches hatte auch ich durchgemacht, als ich Jessica Long verloren hatte. Nur war sie eine Dämonin gewesen, ich war von ihr reingelegt worden, aber auch da hatte der Plan
Weitere Kostenlose Bücher